Red Holloway Quintet | 04.10.1996

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Wer demnächst einen Kinobesuch ins Auge fasst, um sich „Kansas City“ anzuschauen, das neue Werk von Starregisseur Robert Altmann über die glorreiche Geburt des Swing, der dürfte normalerweise ein kräftiges Aha-Erlebnis über sich ergehen lassen. Rauchige Clubs, knisternde Spannung, federnde Rhythmen, erotische Saxophone und dieses einzigartige Gefühl von Lebenslust und Freiheit – eben „echter“ Jazz, allerdings diesmal nur auf der Leinwand.

Wer jedoch das unschätzbare Privileg besaß, am vergangenen Freitag den Tenorsaxophonisten Red Holloway im Neuburger „Birdland“-Keller mit seiner Crew erleben zu dürfen, der könnte sich im Prinzip einen Besuch in „Kansas City“ sparen. Holloway, diese markante Gallionsfigur des Blues- und Funkjazz, servierte seinem Publikum nämlich im „schönsten Jazzclub Europas“ (Originalzitat) all jene Ingredenzien hautnah, und das noch dazu in Film-Überlänge von satten zweieinhalb Stunden. Der markante Unterschied zwischen Movie und Realität: im „Birdland“ gibt es kein Drehbuch, sondern richtige Schweißperlen, die einem in der ersten Reihe schon mal ins Weinglas tropfen können. Livemusik, „at the moment of time“ eben.

Die fünf älteren Herren auch in einer Konserve genießen zu müssen, käme wohl einem Formel-Eins-Boliden ohne Zündkerzen gleich. Diese flirrende Club-Atmosphäre ist ihr Benzin, das sie inspriert, den Deckel zum tanzen bringt und die Zeit auf eine charmant unsentimentale Art zurückdreht. Ein kochendes Up-Tempo-Arrangement im Stile der alten Jump-Blues Bands aus den 40ern wie „I`d rather drink muddy water“ oder „Old Man River“ besäße nämlich von jeder anderen Band diesen leidlich schwülstigen, fast erdrückend nostalgischen Beigeschmack. Nicht so bei diesem Quintett. Da fliegen Bläsersätze scharf wie Rasierklingen durch den Raum, läßt die ostinate Baßfigur von Richard Reid in „So What“ gar den Tisch erzittern und pumpt der Mördergroove der gedrosselten „Caravan“-Version den Blutdruck der Zuschauer in gefährliche Höhen.

Diese Musik lebt, obwohl sie ihre organische Struktur von den Epigonen des Modern Jazz bezieht: vom „Hardbop-Grandpop“ Horace Silver beim funky aufspielenden Pianisten Dwight Dickerson, von Buddy Rich und dessen phänomenaler Snare-Technik beim temperamentvollen Drummer Paul Humphrey. Buster Cooper lernte seine Posaunentricks in den Bands von Duke Ellington und Benny Goodman, während sich Red Holloway das Beste der vielen berühmten Saxophonisten der Bebop-Ära abguckte und damit selbst ein ganz Großer wurde. Seine heißen Soli bilden die Spitze des glühenden Lavastroms, seine rotzig fetten Licks das Sahnehäubchen auf einem taufrischen Dinner, das dem prächtig gelaunten Publikum ganz offensichtlich trefflich mundete, wie der selten ausgelassenen Stimmung im vollen Hofapothekengewölbe abzulesen war.

Übrigens: „Kansas City“ wird trotz seiner unbestrittenen Qualität immer überflüssiger. Am Freitag kommt mit dem Pianisten Cyrus Chestnut einer seiner Hauptdarsteller nach Neuburg – live.