Das Begleitinstrument par excellence, im Hintergrund plaziert, für manche sowieso kaum hör- und deshalb nur als Hilfestellung für die Rhythmusgruppe begreifbar. Ein Baß bleibt solange blaß, bis ihn einer der wenigen wahren Meister zur Hand nimmt. Dann tritt mit einem Mal das ganze Ausmaß der Selbstbeschneidung zutage, mit dem die Vertreter dieser Zunft ihr Instrument seit Jahrzehnten kontinuierlich ins Abseits rücken.
Gerade die Besucher eines Konzertes von Ray Brown erfahren es regelmäßig am eigenen Leibe: ein (Kontra-) Baß kann wesentlich mehr, als nur unauffällig vor sich hinswingen. Bei dem amerikanischen Jazz-Denkmal trägt der hölzerne Korpus jede Melodie, verbindet kunstvoll harmonische Strukturen und bedient obendrein auch noch die obligatorischen rhythmischen Ansprüche. Brown, am Wochenende zum mittlerweile dritten Mal im Neuburger „Birdland“-Jazzclub frenetisch gefeiert, gebührt ohne Zweifel ein Ausnahmestatus – gerade wegen der unverkennbaren Identitätskrise des Basses.
Trotz seiner 73 Jahre käme es dem langjährigen Sideman Oscar Petersons und Ex-Mann von Ella Fitzgerald nie in den Sinn, seine eigene Vergangenheit zu kopieren. Im Trio, der kleinen Einheit für den großen Ausdruck, filtert, dosiert und bündelt Ray Brown die vorhandenen Resourcen. Er herrscht unumstritten auf der Bühne, ohne freilich seinen beiden jungen Partnern Larry Fuller (Piano) und Karim Wiggins (Schlagzeug) seinen Willen aufzudiktieren. Eine Art von Autorität, die ausschließlich einem phänomenalen Zeitgefühl, einer superben Intonation sowie einem erdig-urwüchsigen Ton entspringt.
Fuller, in Neuburg bestens als flexibles Mitglied des Jeff Hamilton-Trios bekannt, kommt Browns Idealbild eines Klavierspielers ziemlich nahe: wuchtige, blueslastige Blockakkorde, kontrollierter Anschlag, gepaart mit einem Näschen für stimmig gesetzte Pausen. Auch das Talent Wiggins verfügt über ein gutes Gespür für „Give and Take“ sowie eine umfassende Technik. Mag sein, daß er diese an anderer Stelle zu einer anderen Zeit weidlich ausnutzen kann. Im „Birdland“ jedoch steckte ihm der Respekt vor der Ikone Ray Brown, die ihn erst kurz vor Beginn der Europatournee als Ersatz für den etatmäßigen Drummer Gregory Hutchinson engagiert hatte, noch merklich in den Knochen.
Was Wunder, bei Baßlinien von solch delikater Schönheit wie bei den Edelstandards „Caravan“ oder „Take The A-Train“. Sie verfügen über eine durch und durch organische Struktur, eine selten gehörte Wärme. Mit fein abgestimmten Drops, Triolen und Arpeggien dröselt Brown das klassische Walking-Schema kontinuierlich auf und bastelt so an einem unwiderstehlichen Groove, der das Gros der sonstigen Darbietungen erst recht als lieblos hingeworfene Swing-Fragmente entlarvt.
Wenn der smarte Gentleman dann noch das Arcospiel, für alle Saitenzupfer die Nagelprobe des Einfühlungsvermögen schlechthin, zu einer grandiosen Demonstration von Anmut und Geschick nutzt, versinkt jedes Thema in einen schwerelosen Zustand zwischen Zeit und Raum. Das Publikum staunt atemlos, spendet hinterher stehende Ovationen und kennt die ultimative Steigerung der leidigen Geschichte: Bass – Bässer – Brown.