Gregory Tardy Quartet | 09.10.1998

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Es gibt Momente, da kann es wieder richtig Spaß machen, den Jazz zu entdecken. Das Gebotene beinhaltet zwar nur längst Bekanntes, bereits Erfundenes, weidlich Plattgewalztes. Aber wie kaum in einer anderen Musik kommt es bei der swingenden Losgelöstheit zwischen Chorus und Improvisation immer noch auf den persönlichen Ausdruck an. Einer wie Gregory Tardy besitzt so etwas im Überfluß, hat davon aber bislang allenfalls einen Bruchteil für sein reiches, erfrischend anderes, nun endlich auch im Neuburger „Birdland“ Jazzclub zu Gehör gebrachtes Spiel entdeckt.

Wenn jemand, wie der vom mächtigen Marsalis-Clan protegierte „Young Lion“ aus New Orleans selbst überkommene Uralt-Standards mit wenigen Phrasen in ein gleißend helles Licht zu tauchen versteht, rechtfertigt er in der Tat die Vorschußlorbeeren, die der „Rising Stars“-Tour durch europäische Clubs vorauseilen. Tardy verkörpert den Typus des Tenorsaxophonisten, der die Traditon eines Ben Webster oder John Coltrane durchaus als festes Fundament verwendet, aber nicht bereit ist, in einer nebulösen Vergangenheit herumzustochern.

Der markante Unterschied zum Rest der Saxplayer-Gilde: während andere blasen, verlegt sich der 32jährige auf`s Gestalten. Unverkrampft sucht Gregory Tardy nach neuen Ausdrucksformen, kennt das Geheimnis um den klugen Aufbau eines Solos, verfügt über eine blendende Technik, die zwischen stürmischer Attacke, eruptiver Skalenjongliererei sowie gehauchtem Schmelz alle dramaturgischen Facetten besitzt und läßt seinen unverbrauchten Ton stets am Leben. Gemeinhin gilt die erfüllte Zelebration einer Ballade als die schwierigste aller Jazzerübungen, doch Tardys Tenor zischt durch den delikaten Titel „Prisoner Of Love“ wie ein luftig-warmer Mistral. Im aufreizenden „Yes Or No“ läßt er Funk- und Freegirlanden von ausgelassener Verspieltheit durch den Keller der Hofapotheke tanzen, die sich in ihrer Farbenpracht von allem abheben, was bislang in diesen Mauern gespielt wurde.

Das Quartett des Amerikaners erweist sich als flexibles Bollwerk gegen die Gleichförmigkeit, das mal in wechselnden Trios, dann gar im dualen Interplay glaubhaft um eine eigenständige Struktur ringt. New Yorks aufstrebender Tastenvirtuose George Colligan etwa, der innerhalb eines Jahres bereits zum vierten Mal in Neuburg gastiert, gräbt sich mit Hilfe seiner formidablen beidhändigen Technik tief in Tardys Spiritualität. Den Weg dazu weist ihm die akurate Spur der dunklen, dreidimensionalen Tieftöne des Bassisten Sean Connelly.

Ein Ereignis für sich ist jedoch Woody Williams. Der völlig unbekannte, frappierend an den jungen Max Roach erinnernde Nachwuchsdrummer kontrolliert von seiner Schießbude aus mit rollenden Baßgrooves, verschränkten Polyrhythmen und berstender Power jeden Adrenalinausstoß im „Birdland“. Die Entdeckung dieses wohltuend zeitgemäßen Konzertabends verdient den gleichen exponierten Platz wie Gregory Tardy: in der ersten Reihe des neuen Jazz.