Unscheinbar im Hintergrund, für viele sowieso kaum hör- und deshalb allenfalls als Garnitur begreifbar: Der Bass spielt nicht bloß in der Jazzhierarchie die zweite Geige. „Du merkst erst, wie wichtig wir sind, wenn du uns aus der Gruppe rausnimmst“, dozierte Ray Brown noch im März vergangenen Jahres am Rande eines Konzertes im Ingolstädter Audi-Forum. „Dann hat nichts mehr seine gewohnte Ordnung.“ Das Lächeln auf seinen Lippen spiegelte ein in fast 60 Karrierejahren gewachsenes, unverkennbares Selbstbewusstsein wider.
Am Dienstag wurde Ray Brown aus der Gruppe genommen – unvermittelt. Im Alter von 76 Jahren starb der vielleicht bedeutendste Jazzbassist der Gegenwart friedlich im Schlaf während einer US-Tournee in Indianapolis. Als er nach seinem Mittagsschlaf nicht zum Auftritt erschien, fanden ihn seine Musikerkollegen tot im Hotelzimmer.
Zu seinen Lebzeiten blieb ein Bass solange blass, bis Ray Brown ihn in die Hand nahm. Der dezente Emanzipator des klassischen Begleitinstrumentes konnte mehr, als nur unauffällig vor sich hinswingen. Bei dem langjährigen Weggefährten von Oscar Peterson, Dizzy Gillespie, Charlie Parker oder Bud Powell und Ex-Mann von Ella Fitzgerald trug der hölzerne Korpus jede Melodie, verband kunstvoll harmonische Strukturen und bediente – ganz nebenbei – auch noch sämtliche rhythmische Ansprüche.
Der elegante Gentleman, dessen großer, warmer, runder, farbiger Ton sich von allen anderen des Genres unterschied, filterte, dosierte und bündelte die Ressourcen jeder Band. Er herrschte, ohne anderen seinen Willen aufzudrücken; eine seltene Art von Autorität, die ausschließlich der Tatsache entsprang, einen Nebenjob zur wahren Kunst erhoben zu haben.
Nicht umsonst nannte Brown eine in den vergangenen Jahren erschienene Plattenserie „Some of my best Friends are…“ (Einige meiner besten Freunde sind….), auf der er wie aus einer Menükarte die virtuosesten Pianisten, Saxofonisten, Trompeter, Gitarristen oder Sänger auswählen durfte – entgegen allen Gepflogenheiten, nach denen ein Bassist gefälligst auf Engagements zu warten hat.
Alle wollten sie zum Ende seines Lebens mit ihm, dem Mann aus dem Off, spielen, weil er nahezu jedem den Weg durch das Wurzelwerk des Blues bis hin zum Ur-Groove ebnete. Insofern hat der Jazz nach dem Tod von Ray Brown wirklich seine ordnende Hand verloren.