Gilad Atzmon & The Orient House Ensemble | 05.09.2002

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Ein Dienstagabend im März: Israelische Kampfflugzeuge bombardieren öffentliche Gebäude in Gaza-Stadt, Tulkarem und Ramalah. Israelische Soldaten sperren Straßen im Westjordanland, blockieren Städte. Und ein israelischer Saxofonist steht auf der Bühne des Neuburger „Birdland“-Jazzclubs und schweigt.

Zunächst einmal. Dann hebt Gilad Atzmon den Kopf und beginnt einen Monolog. Erst in ruhigem, dann in zunehmend aufgewühlterem Ton beschreibt er die Situation in seiner Heimat und geißelt Sharons Besatzungspolitik, wegen der er das Land, in dem einst angeblich Milch und Honig floss, vor sieben Jahren in Richtung London verließ. Ein subjektives Fanal, eine Wuttirade, der er schließlich die Krone aufsetzt: „Israel ist ein satanisches Regime!“

Jetzt schweigen auch die Besucher. Kein einziger Laut durchbricht in dieser einen Sekunde die Stille im Hofapothekenkeller, und irgendwie hat es den Anschein, als könne man gerade jetzt den Einschlag der Kassam-Kurzstreckenraketen, wenn schon nicht hören, dann wenigstens fühlen.

Eine groteske Situation für ein Jazzkonzert. Doch der rhetorisch militante Bläser erkennt schnell, dass er mit seinem harschen politischen Solo nicht unbedingt den richtigen Ton getroffen hat. Also gibt Atzmon fortan nur noch den Musiker, erzählt überwiegend lustige, clowneske Geschichten von den Tücken der britischen Eisenbahn und leckeren bayerischen Knödeln.

Aber das markante Profil des 38-Jährigen, der sich als Saxofonist in der letzten Band des verstorbenen Punk-Poeten Ian Dury ins Rampenlicht spielte, zieht sich wie ein roter Faden sogar durch sein Quartett: Neben seinen englischen Kumpanen Frank Harrison (Piano) und Oli Hayhurst (Bass) bedient mit Asaf Sirkis ein Araber das Drumset. Und die Band nennt sich „Orient House Ensemble“ nach dem Hauptquartier der palästinensischen Autonomiebehörde in Jerusalem.

Meist verballhornen die vier auf höchst virtuoser Ebene Standards wie „Caravan“, „Petit Fleur“ oder Singing in the Rain (Train“) und verkleiden sie in von ihnen ersonnene ägyptische, algerische oder deutsche Versionen. Atzmon, der Meister des Zitates und kunstvolles Plagiates mit seinem schmalzigen, fetten, ausufernden Glassando am Altsax, füllt die seltsam verfremdeten Tangofiguren, Tempiwechsel und Dissonanzen mit einer fast gewaltsamen Heiterkeit aus. So, als wolle er den Frieden zwischen den einzelnen, wild umher fliegenden Stilen, den Balkanmelodien, türkischen Volksliedern, Latinoweisen, Pop und Bebop erzwingen.

Aber nur ein einziges Mal gelingt Gilad Atzmon eine wirklich wunderbare Vision vom Miteinander zweier nur nach außen gegensätzlich wirkender Welten. Als er mit Asaf Sirkis ein Thema aus einer Gegend anstimmt, in der sich Juden und Araber noch begegnen, auf seiner Klarinette springende Klezmertupfer auf die orientalische Tabla Sirkis` setzt, da scheint das Komplizierte für wenige Minuten so unsagbar simpel, alles Trennende wie weggeblasen.

Schon allein wegen dieses einen Stückes könnten Politiker eine Menge von Musikern wie Atzmon lernen.