Ray Andersons’s Pocket Brass Band | 18.03.2022

Donaukurier | Karl Leitner
 

Manchmal bietet das Leben schon eigenartige Zufälle. Das des Posaunisten Ray Anderson und sei­ner Pocket Brass Band zum Beispiel. Im März 2019 war er zusammen mit dem Trompeter James Zolar, dem Sousafonis­ten Joe Exley und dem Schlagzeuger Tommy Campbell auf einer Deutsch­land-Tour inklusive eines geplanten Stopps auch im Birdland in Neuburg. Dann kam Corona und Anderson musste nach nur einem Konzert abbrechen. Das fand in Cottbus statt, wurde auf CD ver­öffentlicht und zeigt eine Band in phan­tastischer Form. Fast auf den Tag zwei Jahre später wird die Tour im Birdland fortgesetzt und schließt nahtlos dort an, wo sie damals in Brandenburg so abrupt endete.

Natürlich freut sich Anderson über alle Maßen, ist voller Euphorie, regelrecht aufgekratzt. Der Mann aus Chicago, der die Musik von New Orleans so sehr in sich aufgesogen hat und sie Abend für Abend via Posaune wieder ausspuckt, ist bekannt für seinen frechen, ja, rotzigen Spielstil und für seine witzigen Kompo­sitionen. Und er wurde von „Downbeat“-Magazin fünfmal hintereinander zum besten Posaunisten der Gegenwart ge­wählt. Es ist also schon ein richtig gro­ßes Kaliber, das da im Birdland ins Horn stößt, ins Mundstück growlt, brummt und schmatzt, bei Bedarf auch rappt und scattet, einer Marching Band vorsteht, die er mit Lust und Wonne immer wieder ins Stolpern bringt, andererseits eines Quartetts, das nichts lieber tut, als auszu­brechen, das Wagnis liebt. Der Ohren­zeuge, der dem akustischen Treiben ge­bannt folgt, verspürt in der Tat die Gän­sehaut kurz vor dem Crash. Einem Crash, der natürlich nie stattfindet, im Gegenteil, Anderson hat große Teile ge­nau so einge­plant.

Auch den Witz. Etwa Campbells Solo auf einem Arsenal an Quietschtieren aus Plastik, Stellen, an denen die Band klingt wie eine Katze, die über die Dächer von New Orleans schleicht, aber immer wie­der lauthals miaut und zornig faucht. Oder wenn, wie in „Chopper“ mit enor­mer Präzision der komplette Rhythmus durch den Wolf gedreht wird. Es gibt Passagen, in denen der Schlagzeuger rhythmisch in Afrika weilt, der Trompe­ter gleichzeitig mit King Oliver in Sto­ryville herumlungert und Joe Exley das Sousafon spielt, als stapfe er in Gummi­stiefeln durch den Morast. Eigentlich kann das gar nicht alles zusammenpas­sen, tut es aber doch. Spätestens dann, wenn die Band nämlich ihre immensen Spannungsbögen absolut deckungsgleich auflöst und Anderson schlitzohrig in die Runde grinst, kennt die Begeisterung im Saal keine Grenzen. Man ist überrascht und geplättet und muss auch noch lachen dabei.

2006 hat Anderson auf dem Album „The Line Up“ ein Stück mit dem Titel „On Solid Ground“ veröffentlicht. Heu­te, nach persönlichen Schicksalsschlägen und Karrierebrüchen, und angesichts ei­ner Welt, die aus den Fugen zu geraten scheint, heißt es „No Solid Ground“. An­derson geht auf seine ganz eigene Art mit dieser Erkenntnis um. Er feiert den Augenblick, steckt alle damit an und schickt sogar sich und seine Kollegen als Marching Band für eine Runde durch den Saal. Was für ein herzerfrischender Abend! Welch großartige Musik!