Ray Anderson – Marty Ehrlich Quartet | 18.03.2011

Neuburger Rundschau | Dr. Tobias Böcker
 

Man kann die Tradition so oder so pflegen, eingewickelt in Nadelstreifen und sorgsam auf Hochglanz poliert mit Goldschimmer und ideologisch nostalgischer Verbrämung oder ganz einfach in quicklebendiger Gegenwart.

Was das Ray Anderson – Marty Ehrlich Quartet im Keller unter der Hofapotheke auf die Bühne zauberte, war ein berauschendes Statement für das lichterlohe Hier und Jetzt! So ungefähr mag es sich real angefühlt haben, als Dizzy Gillespie, Charlie Parker, Theolonious Monk, Kenny Clarke und all die anderen in der dizzy atmosphere von Minton’s Playhouse den Jazz neu erfanden.

Dabei keinerlei Retro in der Musik von Ray Anderson, Posaune, Marty Ehrlich, Sopran- und Altsaxophon – gerne auch mal beide miteinander – sowie Klarinette, mit dem variantenreichen Bassisten Brad Jones und dem feinfühligen Schlagzeuger Eric McPerson! Vom New Orleans der frühen Jahre über den Bebop der 40er und den ambitionierten freien Jazz der 60er bis hin zur Radical Jewish Culture unserer Tage beherrschen sie in punktgenauem Zusammenspiel das gesamte Vokabular des Jazz, bringen es funky, tricky, dirty auf den Punkt in einer durch und durch lebendigen, begeisternden Musik, so fordernd wie unbefangen und unterhaltsam.

Die Themen führen in rhythmischem Eigensinn über Stock und Stein, durch jähe Kurven um Ecken und Kanten, geben dabei die Startrampe für schier halsbrecherische, spektakuläre Soli: „The Git Go“, „Hot Crab Pot“ oder – mit Klezmer-Einschlag – „The Lion’s Tanz“.

Was Anderson an der Posaune vollbringt, scheint schier unmöglich, rattert und knattert, faucht und raucht, knarzt und singt, bewegt sich in rotzigen Growls und spannungsreichen Melodien immer wieder an der Grenze zwischen Klang und Geräusch in musikantischer Lust und spielfreudiger Partnerschaft mit Marty Ehrlich, einem überaus vielseitigen, dynamischen und beseelten Saxophonisten. Traditionsbewusst und abgefahren: Kreative Musik für Leute von heute!