Ralph Towner – Javier Girotto Duo | 10.03.2017

Augsburger Allgemeine | Reinhard Köchl
 

Fingergeläufigkeit – ein großes, bedeutungsschwereres Wort. Entweder man hat sie oder man hat sie nicht. Keine Chance, sich so etwas draufzuschaffen. Gilt für die Gitarre wie für das Piano gleichermaßen.

Zehn Gliedmaßen bewegen sich wie von selbst über das Griffbrett, den Korpus oder die Klaviatur, modellieren Melodien, jonglieren mit Harmonien und Takten, vollführen tollkühne Oktavsprünge. Wenn einem das in den Genen steckt wie Ralph Towner, dann funktioniert es immer und überall, in guten wie in schlechten Tagen, vom siebten bis zum 77. Lebensjahr, in New York, Buenos Aires oder in Neuburg. Es trotzt jedem Zeitgeist und steht auch bei einem Konzert wie im einmal mehr restlos ausverkauften Birdland Jazzclub da wie ein ästhetischer Monolith.

Atemlos und hautnah beobachten die Fans diese Finger, wie sie flitzen, marschieren, gleiten, springen, laufen, tänzeln oder schlendern, wie sie miteinander im Einklang bleiben, die Ideen und manchmal auch den Instinkt ihres Besitzers ohne Umwege in Klänge transportieren. Towner spielt nicht nur mit seinen natürlichen Werkzeugen, sondern auch mit jeder Menge Herzblut, im Titelsong seiner jüngsten CD „My Foolish Heart“ ebenso wie in riskanten Duetten mit Javier Girotto (Sopransaxofon). Und mit jeder Menge freier Fantasie. Ein Privileg, das er sich nach all den bewegten Jahren mit der Kultband Oregon, mit Weather Report sowie an der Seite von Keith Jarrett, Jan Garbarek, John McLaughlin oder Paolo Fresu einfach gönnt.

Es sind vor allem die Solostücke, mit denen der eigentliche Erfinder der Weltmusik den Hofapothekenkeller verzaubert. Kleinodien, die einen tiefen Sinn fürs Instrument offenbaren, spinnwebartige Geflechte, sanfte Lyrismen voller spröder Schönheit, Mehrstimmiges, behände Akrobatik der Gliedmaßen ohne einen Anflug von Nabelschau. In „Biding Time“, einem Blues zu Ehren seines verstorbenen Pianofreundes Paul Bley, greift er auch mal zur Westerngitarre. Anderes Instrument, anderer Sound, aber immer unverkennbar Towner.

Und die Körpersprache: schulmäßig, im Geiste von Andrés Segovia oder John Williams. Kerzengerader Rücken, die sechssaitige klassische Gitarre auf das linke Knie gestellt, den Hals in die Höhe gerichtet. Keine harmlose Idylle, sondern bleierne Nachdenklichkeit, federleicht übers Griffbrett geschickt. Offene Tempi, stehende Akkordflächen, langsam ausgekostete Melodien. Abstraktion in Form kantiger Melodien.

Er und Girotto könnten einen wirklich bewegenden Diskurs zweier lebenserfahrener Melomanen eröffnen – wenn der Argentinier nur auf gleicher Augenhöhe agieren würde. Dies gelingt ihm jedoch viel zu selten, weil keines seiner Statements wirklich überraschen kann und sein zerrender Ton nicht zum leuchtenden Gitarrensound passt. Wenn Ralph Towner seinen Klassiker „Celeste“ am Piano intoniert, wünscht man sich, dass gerade jetzt das Saxofon für ein paar Sekunden schweigen möge. Um einfach nur dieser raffinierten, klangschönen, mediterran beseelten, federleichten Fingergeläufigkeit zu lauschen.