Rainer Böhm Trio | 21.01.2023

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Nummer 237. Nur eine Zahl? Die Reihe „Art Of Piano“ hat seit dem ersten Konzert im Jahr 1991 eigentlich fast alle Facetten dieses faszinierenden Instrumentes im Birdland-Jazzclub Neuburg beleuchtet. Eigentlich. Denn die Gangart des musikalischen Dreiecks um Rainer Böhm ist auch in dieser Reihe neu. Ein demokratischer Konsens eint das Trio ganz ohne Zweifel, aber die tragende Stimme bleibt das Klavier. Wobei sich die Aufgabe von Schlagzeuger Jonas Burgwinkel – immerhin eine der aktuell angesagtesten Musiker der Republik – und des Bassisten Matthias Nowak, der kurzfristig für den erkrankten Arne Huber einsprang, keineswegs auf das bloße Begleiten beschränkt. Die beiden nützen die ihnen gewährte Beinfreiheit, um ihre individuelle Klasse hinreichend zu bestätigen. Es bleibt aber ein Trio, bei dem der Pianist glänzen darf – und wie!

Wobei der 45-jährige Württemberger sich durch seine spannenden Kompositionen den Boden für seine bunt schillernden Exkurse auf den schwarz-weißen Tasten quasi selbst bestellt. Es sind quasi exakt die richtigen Noten zur richtigen Zeit für den sympathischen Schlacks, um diesem eine wirklich staunenswerte Vorstellung im Hofapothekenkeller zu ermöglichen. Manchmal verlängert Böhm die Phrasen, beginnt auszuufern, um sich selbst danach wieder einzufangen und auf den Weg des Themas zurückzuholen. Hin und wieder gönnt er sich Exkurse in modale Sphären, expandiert die Harmonie- und Tonartwechsel bis zu einem ganz speziellen Punkt, um kurz danach den Blues so wenig erdenschwer, mit Grazie und dennoch „amtlich“ intoniert zu präsentieren, wie dies keinem anderen deutschen Pianisten derzeit gelingt. Rainer Böhm will nicht zwingend Geschichten erzählen, das wäre ihm schlicht zu wenig! Er versteht es vielmehr, mithilfe seiner beiden Hände Aquarelle auf der Klaviatur zu malen. Ein Bilder-Pianist, der immer seiner Intuition und einem roten Faden folgt, entweder über die Melodie oder den Rhythmus – wobei Letzterer nicht zwingend vom Schlagzeug oder vom Bass kommen muss.

Wenn die drei Bandmitglieder lyrische Themen wie „Flying Sea Star“ oder „Catalyst“ intonieren, dann mutet dies bisweilen wie eine meditative Form des zeitgenössischen Jazz an, ein bisschen in der Nähe der Minimal Music angesiedelt, aber noch wesentlich strukturierter, farbiger und variabler. Man könnte diese Musik oberflächlich vielleicht auch als kopfig, schwer oder modern abtun – was auch immer das bedeuten mag. Bei allem Wortgeschwurbel, mit dem man gerne versucht, solche anspruchsvollen Kreativprozesse zu beschreiben – es ist tatsächlich vor allem ein emotionales Statement, ein Konzentrat an Gefühlen, dem Böhm, Burgwinkel und Nowak da Gestalt verleihen. Gläserne Akkorde, Läufe wie an einer Perlenschnur aufgereiht, efeuartige Bass-Girlanden und mal tänzelnde, mal grollende Groove-Figuren sorgen für angenehme Kurzweil, weil sie die Besucher mit auf eine Reise nehmen.

Dabei lernen sie die faszinierende Böhm-Komposition „Oktopus“ und den elegischen Uralt-Standard „You And The Night And The Music“ kennen. Letzten bereiten die drei zupackend, kraftvoll, runderneuert anders und doch vertraut auf; exakt so, wie er in einem Jazzclub im Jahr 2023 klingen soll. Dabei liefert Jonas Burgwinkel eines der besten Drum-Solos, das je im Birdland erklang: nicht spektakulär und nach billigen Effekten heischend, aber dafür voller halsbrecherischer rhythmischer Salti und verwegener Verknüpfungen. Als Zugabe folgen noch das wunderbare „B“, eine 20 Jahre altes, schwebendes Mobile um den gleichnamigen Ton, frenetische Ovationen des Publikums und die Erkenntnis, das auch die Reihe „Art Of Piano“ nach über 30 Jahren noch jede Menge Überraschungen bereithält.