Rainer Böhm Trio | 21.01.2023

Donaukurier | Karl Leitner
 

Am Eingang kann man einen Tonträger erwerben, den es noch gar nicht gibt. Die CD „What If“ des Rainer Böhm Trios, das an diesem Abend im Gewölbe unter der ehemaligen Hofapotheke auftreten wird, erscheint ei­gentlich erst am 3. Februar. Das Birdland ist mal wieder seiner Zeit voraus.

Der Pianist Rainer Böhm, der Schlag­zeuger Jonas Burgwinkel und der Kon­trabassist Matthias Nowak sind zu Gast, jeder für sich ein Tausendsassa des aktu­ellen deutschen Modern Jazz, hier ge­treulich vereint unter Böhms Leitung als eines der führenden Piano-Trios hierzu­lande. Böhm, in der Klassik gleicherma­ßen zuhause wie im Jazz, gehört zu den „Genre-Überwindern“, zu denen, für die der Transport von Emotionen durch sei­ne Musik immer im Mittelpunkt stand. Er ist berühmt für seinen ganz besonde­ren, kristallinen Anschlag, für seine blen­dende Technik, seine Eigenart, in Melo­dieführung und Akkordbegleitung ab­wechselnd beide Hände einzusetzen, har­te rhythmische Akzente, fließende Osti­nati und lyrisch breite Passagen einender gegenüberzustellen oder ineinander flie­ßen zu lassen.

Lässt man sich auf diese Band ein, kann man beobachten, wie bei Böhm zwar alle Fäden zusammenlaufen, jedoch Burg­winkel – einen der besten Drummer, den wir in Deutschland haben – und der trotz seines Faibles für feinsinnige Umspie­lungen unerbittliche Spurhalter Nowak keineswegs „nur“ Begleiter sind. Erlebt man dieses Piano-Trio live und bewusst, tut man unweigerlich damit einen Blick hinein in eine der Schaltzentralen des derzeit aktuellen deutschen Modern Jazz, einer Szene mit exzellenten Musikern, unter ihnen erstaunlich viele Pianisten, viele wie Böhm mit individueller Hand­schrift, viele ständig mit neuen Ideen und Konzepten und jeder Menge Wage­mut.

Die CD ist noch nicht mal erschienen, und schon unterscheiden sich die Album-Versionen von Stücken wie „Past And Present“, „Octopus“ und das rasend schnelle „The Way You Think“ ganz ge­hörig von dem, was man hier im Bird­land zu hören bekommt. „What If – Was wäre, wenn…“. Wenn man zum Beispiel das ausgreifende Titelstück anlegen wür­de wie eine einzige große Welle, auf der man reiten, die einen aber auch ver­schlingen kann? Wenn man mal nicht ein ganzes Thema, sondern nur ein ganz kleines Motiv zum Ausgangspunkt einer Improvisation machen würde, bei der man das Auditorium dann mit einer Sturmflut aus Tönen geradezu überschüt­tet? Wenn man einfach mal die Dynamik veränderte, dem Stück eine neue Rich­tung gäbe?

Dann wäre dann genau das, was Jazz aus und ihn so spannend macht. Es lebe der Unsicherheitsfaktor! Der Kitzel, der Reiz, nie ganz genau zu wissen, wie das Stück, das man zu kennen meint, sich hier und heute anhören und anfüh­len, in welcher Verkleidung es daher­kommen wird. Bestes Beispiel: „You And The Night And The Music“, ein oft gespielter Klassiker, wird, sobald Böhm sich der Vorlage annimmt, zu einem bis auf wenige Wiedererkennungsdaten völ­lig neuen Stück. Absolut faszinierend!

Es gibt Wochenenden wie dieses, da ja­gen sich im Birdland die Highlights. Zwei Tage, zwei völlig unterschiedliche Aspekte im riesigen Feld des Jazz und jeder für sich auf ganz eigene Weise großartig. Den ex­zellenten Ruf, den der Club genießt, hat er in der Tat nicht um­sonst.