Am Eingang kann man einen Tonträger erwerben, den es noch gar nicht gibt. Die CD „What If“ des Rainer Böhm Trios, das an diesem Abend im Gewölbe unter der ehemaligen Hofapotheke auftreten wird, erscheint eigentlich erst am 3. Februar. Das Birdland ist mal wieder seiner Zeit voraus.
Der Pianist Rainer Böhm, der Schlagzeuger Jonas Burgwinkel und der Kontrabassist Matthias Nowak sind zu Gast, jeder für sich ein Tausendsassa des aktuellen deutschen Modern Jazz, hier getreulich vereint unter Böhms Leitung als eines der führenden Piano-Trios hierzulande. Böhm, in der Klassik gleichermaßen zuhause wie im Jazz, gehört zu den „Genre-Überwindern“, zu denen, für die der Transport von Emotionen durch seine Musik immer im Mittelpunkt stand. Er ist berühmt für seinen ganz besonderen, kristallinen Anschlag, für seine blendende Technik, seine Eigenart, in Melodieführung und Akkordbegleitung abwechselnd beide Hände einzusetzen, harte rhythmische Akzente, fließende Ostinati und lyrisch breite Passagen einender gegenüberzustellen oder ineinander fließen zu lassen.
Lässt man sich auf diese Band ein, kann man beobachten, wie bei Böhm zwar alle Fäden zusammenlaufen, jedoch Burgwinkel – einen der besten Drummer, den wir in Deutschland haben – und der trotz seines Faibles für feinsinnige Umspielungen unerbittliche Spurhalter Nowak keineswegs „nur“ Begleiter sind. Erlebt man dieses Piano-Trio live und bewusst, tut man unweigerlich damit einen Blick hinein in eine der Schaltzentralen des derzeit aktuellen deutschen Modern Jazz, einer Szene mit exzellenten Musikern, unter ihnen erstaunlich viele Pianisten, viele wie Böhm mit individueller Handschrift, viele ständig mit neuen Ideen und Konzepten und jeder Menge Wagemut.
Die CD ist noch nicht mal erschienen, und schon unterscheiden sich die Album-Versionen von Stücken wie „Past And Present“, „Octopus“ und das rasend schnelle „The Way You Think“ ganz gehörig von dem, was man hier im Birdland zu hören bekommt. „What If – Was wäre, wenn…“. Wenn man zum Beispiel das ausgreifende Titelstück anlegen würde wie eine einzige große Welle, auf der man reiten, die einen aber auch verschlingen kann? Wenn man mal nicht ein ganzes Thema, sondern nur ein ganz kleines Motiv zum Ausgangspunkt einer Improvisation machen würde, bei der man das Auditorium dann mit einer Sturmflut aus Tönen geradezu überschüttet? Wenn man einfach mal die Dynamik veränderte, dem Stück eine neue Richtung gäbe?
Dann wäre dann genau das, was Jazz aus und ihn so spannend macht. Es lebe der Unsicherheitsfaktor! Der Kitzel, der Reiz, nie ganz genau zu wissen, wie das Stück, das man zu kennen meint, sich hier und heute anhören und anfühlen, in welcher Verkleidung es daherkommen wird. Bestes Beispiel: „You And The Night And The Music“, ein oft gespielter Klassiker, wird, sobald Böhm sich der Vorlage annimmt, zu einem bis auf wenige Wiedererkennungsdaten völlig neuen Stück. Absolut faszinierend!
Es gibt Wochenenden wie dieses, da jagen sich im Birdland die Highlights. Zwei Tage, zwei völlig unterschiedliche Aspekte im riesigen Feld des Jazz und jeder für sich auf ganz eigene Weise großartig. Den exzellenten Ruf, den der Club genießt, hat er in der Tat nicht umsonst.