Vorsicht vor solchen Spitznamen! Charles Mingus nannte ihn mal „Young Django”, und so etwas verpflichtet bekanntlich zu pausenlosen Höchstleistungen. Immerhin kann Philip Catherine das Griffbrett in geradezu magischem Tempo abmessen. Eine physische Tugend, die ihm lange Zeit verächtlichen Gegenwind von Seiten der progressiven Erneuerungskaste ins Gesicht blasen ließ.
Aber der belgische Irrwisch an der Gitarre ist gottlob durch solch geschmäcklerische Kritik nicht einsichtiger geworden. Bei seinem Debüt im Neuburger „Birdland”-Jazzclub dosiert er seine Technik noch raumgreifender, spannt weite Bögen zwischen Vergangenheit und Gegenwart und sieht sich immer weniger in der Rolle des geckenhaften Solo-Performers, sondern vielmehr als Bestandteil fluktuierender Soundflächen in wechselnden Tempi, bei denen der einzelne Musiker fast nichts, eine eingespielte, gleichberechtigte Combo jedoch nahezu alles bewegen kann.
Über die gesamte Strecke des kurzweiligen und nie monostrukturierten Konzertes macht Catherine deutlich, warum forsches Tempo nicht der einzig glückselig machende Parameter ist, um in die Geheimnisse des hellwachen Rhythmus vorzudringen. Der moderate Zug, den der 58-jährige einschlägt, ist das Fundament, auf dem überlegt die gesamte Palette musikalischer Poesie ausgebreitet wird. Wenn sich die erstklassige Workingband der holländischen „Vans” (Bert van den Brink, Hans van Oosterhout, Hein van de Geyn) gegenseitig in vertikalen Kunstfiguren hinaufschraubt und dabei harmonische Purzelbäume schlägt, scheint jeder Ton an seinem rechten Ort.
Bassist van de Geyn entpuppt sich als ausgemachter Melodiker und stupender Techniker, bei dem die runden, dickflüssigen Tontropfen wie Honig den Steg hinabkullern. Er und Catherine federn mit Hilfe brüchiger Singlenotes und filigraner Doppelgriffe wie auf einem Trampolin. Drummer van Oosterhout obliegt es, in der munteren Treibjagd durch die Chord-Changes mit shuffleartigen Besenintermezzi und flexiblen Taktwechseln die Richtung vorzugeben.
Für impressionistische Girlanden ist diesmal der blinde Pianist van den Brink zuständig. Sein Spiel atmet Klangfarben aller Nuancen, er lässt grelle Blitze zucken und rohe Blockakkorde im eigenen Saft bis zur ultimativen Reife schmoren. Inmitten all seiner atemberaubenden Bopnebel („Alone Together”) und modalen Schwaden („Hello George”) sucht er immer wieder den Kontakt zu Catherine, jagt diesen und verheddert sich in ihm, bis beide schlussendlich auf einer seligen Wolke aus Harmonien nach oben steigen.
Freilich: die lyrischen Momente sind bei Philip Catherine nicht simple Entrückungen. Eher Reflexionen mit immens aufrechtem Nachhall. Wenn der Gitarren-Weise dann noch im tosenden Applausgewitter des Hofapothekenkellers demonstriert, was aus seinem (aufgezwungenen) Vorbild geworden wäre, wenn dieses noch die Freuden des Funks erlebt hätte („Good Morning Bill”), dann muß selbst der moderne Jazzfan sein Urteil über diesen „Old Django” stante pede korrigieren und den Hut über dessen erfrischende Jugendlichkeit ziehen.