Phil Woods Quintet | 23.04.1995

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

An gängigen Attributen für das nicht nur im Jazz ungemein populäre Saxophon gibt es eine ganze Menge: Leidenschaft, Virtuosität, Erotik, Schmerz, Geschwindigkeit, Hitze, Abgeklärheit und Lebensfreunde. In der fast 37jährigen Geschichte des Birdland Jazzclubs Neuburg hat sich weißgott eine ganze Handvoll echter Weltklassevertreter dieses Instrumentes wie zum Beispiel Johnny Griffin, Lee Konitz oder Archie Shepp in den diversen Katakomben der Ottheinrichstadt mit teilweise großem Erfolg an deren Umsetzung versucht. Eines steht allerdings seit vergangenen Sonntag unverrückbar fest: Keinem der zuvor genannten gelang es, sämtliche Eigenschaften in einem einzigen „Sax“ derart grandios und schlüssig zu bündeln, wie dem amerikanischen Alto-Star Phil Woods.

Ein Konzert der absoluten Superlative in einem an Höhepunkten gewiß nicht armen Jazzjahr in Neuburg – so und nicht anders muß der Auftritt des seit mehreren Jahren laut „Down Beat“- Poll führenden Vertreters dieses Instrumentes im vollbesetzten Keller unter der Hofapotheke mit Fug und Recht bezeichnet werden. Denn was Woods und seine überragende Begleitformation (immerhin im „Down Beat“ auch Nummer vier in der Sparte der akustischen Bands) da innerhalb von knapp zwei Stunden auf die enge Bühne zauberten, verdient ohne Umschweife die Bezeichnung „absolute Weltklasse“.

Zwei alte Haudegen mit dem variablen Drummer Bill Goodwin und dem großtönenden Baß-Groover Steve Gilmore bilden zusammen mit einem jungen, spritzigen, noch relativ unbekannten Pianoteufel namens Bill Charlap ein Rhythmustrio, das sich gewaschen hat. Die ideale Basis für jene Traum-Bläsersection, bestehend aus Phil Woods und dem von Art Blakeys „Jazz Messengers“ her bekannten Trompeter Brian Lynch. Dessen agressives, messerscharfes Spiel, das wie ein Laser die Luft im Raum durchschneidet, die dynamischen Attacken, die perfekte Atemkontrolle und die trotz allem noch verblüffende Variabilität waren schon alleine das Eintrittsgeld in den Birdlandkeller wert. Lynchs große Stärke liegt freilich auch im nahezu spielend lockeren Umgang mit den schwierigsten und schnellsten Unisoni mit Woods, vor denen andere Trompeter unter Garantie schon beim bloßen Anblick der Noten das Handtuch geworfen hätten.

Doch über allem thront der Meister des Altsaxophons selbst. Auch wenn mancher Zuhörer im Auftaktsolo noch eine Reinkarnation des großen Charlie Parker vor sich wähnte, so wurde schon bald klar, daß der 63jährige aus Massachusetts über einen höchst eigenständigen Ton verfügt, der ihn aus dem Meer der anderen Jazzbläser meilenweit heraushebt. Phil Woods, der in Neuburg sein bekanntes Lederkäppi mit einer Baseballmütze vertauscht hatte, schafft es mit seiner unglaublichen Technik immer wieder, jeden einzelnen Ton (auch bei rasend schnellen Läufen) auszuformen und adäquat einzufärben. Der Ausrichtung des einzelnen Stückes entsprechend, gelingt ihm dies entweder beißend kantig oder einschmeichelnd warm. Doch im Vordergrund steht bei ihm zu jeder Sekunde der Ensembleklang: Akustik pur ohne jegliche Verstärker und ausreichende Freiräume für jedes Bandmitglied – nur die wirklich Großen besitzen den Mut zu solcher Offenheit.

Die Jazzfans in Neuburg erlebten eines der heute rar gewordenen originären Bebop- und Hardbop-Konzerte mit allen nur denkbaren Einflüssen der Moderne, ohne die auch die Tradition nicht mehr bestehen kann. Zu absoluten Perlen entwickelten sich Songs wie „Ya know“, die Lynch-Eigenkomposition „Jamaika Silver“, „Blue Moon“, „Strictly Confidential“, und eine Up-Tempoversion von Miles Davis` „All Blues“ mit wechselnden Metren. Selten war ein Konzert im Neuburger Birdlandkeller umjubelter, als dieses.