Jay Jay Johnson Quintet | 24.03.1995

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Den Ort der Begegnung hätte man klüger nicht wählen können: das altehrwürdige Neuburger Stadttheater als Plattform für eine graue Eminenz im gleichfarbigen Blazer. Beiden haftete noch nie der Makel der Beliebigkeit an, und irgendwie schien es auch, als gäbe es kaum einen passenderen Ort für die erste Präsentation Jay Jay Johnsons in Europa seit 1984, als den traditionsbeladenen Musentempel der Ottheinrichstadt. Hier die geschwungenen Melodielinien der Jazzposaune, dort die verspielte Architektur der Renaissance.

Doch wer beim Konzert des 71jährigen Bebop-Denkmals aus Indianapolis am vergangenen Freitag eine Aura des Außergewöhnlichen spüren wollte, der wurde auf`s Angenehmste enttäuscht. In Neuburg gehört es nämlich längst zum Veranstaltungsalltag, daß dort die besten der Besten ihre Aufwartung machen, noch dazu, wenn der hiesige Birdland-Jazzclub den zehnten Jahrestag seiner Wiedergründung feiert. Außergewöhnlich war freilich einmal mehr die Resonanz: das Gastspiel des vielleicht wichtigsten Jazz-Posaunisten aller Zeiten füllte das Stadttheater bis auf die allerletzten Sitz- (und einige improvisierte Steh-) Plätze, ein sichtbares Zeichen, daß der Jazz in Neuburg boomt.

Jay Jay Johnson sehen und vor allem aus solch fast intimer Distanz hören zu können, das war sogar einigen Enthusiasten aus Stuttgart und München eine Reise an die Donau wert. Denn selbst 1995, 50 Jahre nach Beginn seiner beispiellosen Karriere, versetzt die Form und Struktur seines charakteristischen dunklen, vibratoarmen, kontrollierten und perlend-bopigen Tones immer wieder junge Nachwuchs-Posaunisten in atemloses Staunen. Stoisch, unbeweglich, fast mürrisch, aber stets hochkonzentriert begegnet der an der Spitze der inoffiziellen Weltrangliste des amerikanischen Jazzmagazins „Down Beat“ plazierte Ausnahmemusiker diesem Interesse, wohl wissend, daß er als Leitfigur stets mit besonderen Maßstäben gemessen wird.

Jene berühmte, fast instrumentenüberwindende Technik verleiht ihm die Fähigkeit, die regelmäßig im Schatten von Trompete und Saxophon stehende Posaune schon in einer harmonisch-thematischen Chorusarbeit deutlich in den Vordergrund zu stellen. Bei seinen klug konstruierten, vor rhythmischer Kraft und melodischer Phantasie nur so strotzenden Soli scheint Geschwindigkeit zur Grundvoraussetzung geworden zu sein, um bestimmte Bilder einfach perfekter malen zu können.

Das funkige „See See Rider“ erhielt durch kribbelnde Kaskaden ein Gefühl von Ungebundenheit, das nervöse „Why Indianapolis“ (mit Jay Jay als einsamem Rufer nach einem elegischen Schlagzeugsolo) symbolisierte Heimweh nach der hektischen Großstadt, der bluesige „Road Song“ Fernweh, während das satt groovende, erdige „Kenya“ die bloße Freude am Hardbop der 50er Jahre wieder lebendig werden ließ.

Richtig unter die Haut geht Johnsons Posaune freilich bei Balladen, wie dem lyrischen „Malaga Moon“ oder dem wunderschönen „People Time“ aus der Feder von Benny Carter. Auffällig hier vor allem die ständige Suche nach seiner punktgenau agierenden Begleitband, die ihm dezente Eckpfeiler setzte, gleichwohl jedoch auch von schwebenden, federleichten Themenphrasen der Posaune zur großzügigen eigenen Darstellung ermuntert wurde. Vor allem ein Mitglied der Combo nutzte dieses Angebot weidlich: Renee Rosnes, die verblüffend versierte Schön- und manchmal auch Schrägtönerin am Piano mit verblüffenden monk`schen Ideen und spritzigem, perkussiven Anschlag setzte sich neben dem Leader am besten in Szene.

Rufus Reid, der versierte, kreative, seelenvoll swingende Tieftöner am Kontrabaß, begleitete souverän und hatte im ungewöhnlichen Intro von „Blue Bossa“ seinen großen Auftritt, während Bruce Cox, dem an Elvin Jones erinnernden, spontan reagierenden Lauttöner, schon Mal die Gäule durchgingen (vor allem beim Pianosolo in „Cousin Jason“).

Eine etwas unglückliche Rolle fiel Dan Faulk, dem gefühlvoll-bedächtigen Sanfttöner am Tenor- und Sopransaxophon, im Quintet Jay Jay Johnsons zu. Der talentierte Nachwuchsmusiker entwickelte zwar seine Stärken in beseelten Tutti-Chorusen mit dem Leader, ließ jedoch leider während seiner fein aufgebauten Soli den für den dynamischen Bandsound notwendigen Biß vermissen. Ein frecherer Saxophonsound hätte dem umjubelten und frenetisch beklatschten Abend, der mit einer üppigen Zugabe ausklang, zum absolut perfekten Genuß reifen lassen.