Peter Gall Quintet „Love Avatar“ | 14.03.2025

Donaukurier | Karl Leitner
 

Kinder brauchen Re­geln, heißt es, aber auch Freiraum zur kreativen Entfaltung. Für Musiker gilt bisweilen ähnliches. Beschäftigen sie sich lustvoll mit Regelverletzungen, ignorieren sie absichtlich Grenzen, toben sie sich lieber nach Herzenslust aus, als irgendwelchen Erwartungen entsprechen zu wollen, kann das zwar für Leute mit eingefahrenen Hörgewohnheiten mitun­ter ziemlich anstrengend werden, aber eben auch ungeheuer aufregend.

Das Quintett des Schlagzeugers Peter Gall, einer absoluten Spitzenkraft seiner Zunft hierzulande, des Altsaxofonisten Wanja Slavin, des Gitarristen Reinier Baas, des Pianisten Rainer Böhm und des Kontrabassisten Matthias Pichler ist so eine Band. Die Formation spielt be­reits seit Jahren in unveränderter Beset­zung, hat zwei Alben eingespielt und weiß sehr wohl um herkömmliche Grenzlinien, was eine Voraussetzung ist, wenn man sie im Folgenden spiele­risch verschieben und mitunter sogar ignorieren will, wenn man – übrigens ziemlich komplexe – ausnotierte Passa­gen als Türöffner für Exkursionen in avantgardistische Bereiche nutzen möch­te, für Jams, in denen sich die Solisten gegenseitig anstacheln oder dazu, ver­schiedene Klangmöglichkeiten auszu­probieren, wenn also der Stilbruch zum Konzept wird.

Lange Zeit galt in bestimmten Kreisen die Regel, Jazz sei nur dann echt und au­thentisch, wenn er ohne Strom auskäme. Bei Gall und seinen Kollegen gehört die Elektronik mit dazu. Nicht als Hilfs-, sondern als unverzichtbares Stilmittel. Slavin und Böhm bedienen neben Saxo­fon und Klavier auch zwei Synthies und und Gitarrist Reinier Baas hat ein ganzes Arsenal an Pedalen und Effektgeräten vor sich auf dem Boden liegen und wenn es darum geht, einem Stück per Sound eine ganz eigene Note zu verleihen, ist er darin mindestens ebenso versiert wie als Gitarrist an den sechs Saiten.

Wobei Kompositionen wie „Faro“ und „Yellow Heaven“ vom ersten und Love Avatar“ sowie das nicht ganz umsonst Herbie Hancock gewidmete „Luz Solar“ vom zweiten Album ohne dieses Klang­bild auch gar nicht funktionieren wür­den. Fred Frith’s Gitarre und Hancock’s Keyboard, die Welt der Fusion und des Rockjazz, die unerschöpflichen Mög­lichkeiten elektronischer Musik und der Avantgarde, Konstruktion und Dekon­struktion – die Band gibt sich selbst ei­nen Rahmen, sorgt aber permanent dafür, dass selbiger Risse bekommt und manchmal auch gesprengt wird, weil diese fünf Musiker – neugierig wie sie zum Glück nun mal sind – unbedingt wissen will, welche Möglichkeiten sich außerhalb auftun.

bBands wie die von Peter Gall sind im­mer wieder mal zu Gast in Neuburg. Egal ob akustisch oder elektrisch ver­stärkt, egal ob stilistisch mit herkömmli­chem Vokabular „schubladisierbar“ oder nicht, sollte man auf dem Schirm haben, wenn es um künftige Entwicklungen im Modern Jazz geht. Top ausgebildete, be­reits in jungen Jahren virtuose Musiker, die auch herkömmliche Spielformen be­herrschen, aber trotzdem immer auf der Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkei­ten sind, sorgen aktuell für eine regel­rechte Aufbruchsstimmung. Wie gut, dass wir viele von ihnen im Birdland da­bei beobachten können, wie sie ihren Weg gehen. Dass das Peter Gall Quintet genau das nämlich tun wird, steht nach diesem großartigen Abend außer Zwei­fel.