Perfect Five | 24.01.2003

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Selbstverständlich kokettieren sie mit der gnadenlosen Erwartungshaltung des Publikums. Dessen Verlangen nach fehlerfreier, klinisch reiner Performance, der immer wiederkehrende Vergleich mit künstlich gepushten Superstars hat die Karrierekurve eines jeden von ihnen schon mehr als einmal empfindlich beeinflusst. Und deshalb eben dieser Name, der eine unüberhörbare Portion Sarkasmus birgt: „Perfect Five“. Im Jazz?

Zwei kraftvolle, signalhornartige Bläser, ein verspielt-expressiver Pianist und eine Rhythmsection, die sich in ihrem Vorwärtsdrang durch nichts aufhalten lässt – ist das schon perfekt? Eher normaler Mainstream-Standart. Was die Fünf an diesem Abend im Neuburger „Birdland“-Jazzclub vom Durchschnitt abhebt, ist ihre Emotion, das unbedingte Drängen nach der Zurschaustellung der eigenen Persönlichkeit hinter der anonymen Note. Und da unterscheidet sich das Multikulti-Ensemble durchaus von den allermeisten, relativ wahllos zusammengeschusterten Telefonbands.

Während andere nebeneinander musizieren, zieht die Combo wie ein internationales Kollektiv von Malern ihre virtuosen Linien auf der gemeinsamen Leinwand, setzt Töne wie Cezanne, Klee, Miró, Picasso und Kandinsky den Pinsel führten, sie klecksen aber auch wie kleine Kinder mit ihren Wasserfarben herum. Ständig wechselnde Tempi, Hardbop, Marschverwandtes, Folkähnliches, hauchzarte Balladen, schwerer Blues, anspruchsvolle Arrangements und atemlose, aber exakt in die aktuelle Stimmung passende Pausen: Das ist oft perfekter in seiner Wirkung, als das vermeintlich Ausgeklügelte.

Ganz nahe an der Perfektion sind die Soli von Trompeter Andrew McNaughton. Der Australier maß sich bereits auf einer Bühne mit Wynton Marsalis und zog dabei keineswegs den Kürzeren. Auch im „Birdland“ tragen seine Intermezzi einen Hauch von Genialität. Strahlend gleißende Sternenschweife fließen nahtlos in gepresst-sandige Growls und münden nur Sekunden später in flüsternde Statements voller minimalistischer Schönheit.

Tenorsaxofonist Grant Stuart aus Kanada klingt wie eine Coltrane-Ausgabe aus der Coolphase, was für gewöhnlich ein Höchstmaß an Übungsfleiß – und demzufolge auch Perfektion – mit sich bringt. Freilich zünden nicht alle der von ihm gelegten Lunten, doch der Rest findet sein Ende in gewaltigen Explosionen. Über ein wirklich perfektes rechtes Händchen verfügt der Österreicher Oliver Kent. Sein Piano konserviert das Beste von Horace Silver, Bobby Timmons und Bud Powell: unwiderstehlich retardierende Patterns und süffig perlende Melodien, manchmal auch im (Jazz-)Walzertakt.

Blieben noch Martin Zenker und Rick Hollander, beides quasi die „Väter“ des fünfköpfigen Perfektionismus. Der eine ein intelligenter Begleiter am Bass, der sich im richtigen Moment zurückzunehmen weiß, aber wie eine Schlagader den Groove am Leben erhält, der andere ein Schlagzeuger in der womöglich besten Phase seines Lebens. Wie Hollander im Hofapothekenkeller den Druck reguliert, wie er mit kreuzenden Figuren immer wieder einer Lawine gleich durch die Tunes rollt, das rückt ihn in die Nähe des Verdachtes, ein perfekter Klon aus den Genen von Elvin Jones und Art Blakey zu sein.

Weitere Versatzstücke auf dem Weg zur Vollkommenheit: Das mit gut 13 Minuten perfekt lange und perfekt abrundende Schlussthema „A pure Formality“ sowie „Heuhaufen“, ein für Jazzverhältnisse erstaunlich perfekter Ohrwurm als Zugabe. Und ein fast perfektes Konzert. Das ist weiß Gott mehr, als man im nach wie vor unfertigen Jazz überhaupt erwarten darf.