Paul Motian Trio | 14.02.1998

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Keiner weiß, ob hier ein Film abläuft, oder einem die Phantasie einen Streich spielt. Es ertönen Klänge aus einer anderen Welt, es zirkulieren Emotionen von seltsamer Dringlichkeit, es erscheinen Fabelwesen, die sich der Öffentlichkeit – zumindest in Deutschland – weitgehend entziehen. Wenn Paul Motian, Bill Frisell und Joe Lovano eine konzertante Performance wagen, entstehen solche besonderen Momente rarer Qualität. Drei Olympier des modernen Jazz auf Erdenvisite, oder besser: zu Besuch im Neuburger „Birdland“-Jazzclub.

Voll ist es, bis auf den letzten Stehplatz. Wer will schon die hiesige Audienz der Götter, die zusammen seit über 15 Jahren eine unerschütterliche Bastion gegen die Gleichschaltung der Musik bilden, verpassen? Da grübelt Apollo live-haftig an der Gitarre, da grollt Mars nur einen Meter von den Sterblichen entfernt am Tenorsaxophon, dazwischen thront Zeus hinterm Drumset: jeder für sich ist schon ein Superstar, geadelt durch ihre Pollpositions in den Weltranglisten des amerikanischen Magazins „Down Beat“. Wenn sich dieses gewaltige Potential an Kreativität dann noch zur gemeinsamen Entladung begibt, entsteht nicht nur das dienstälteste und aberwitzigste Trio der Gegenwart, sondern auch ein Funkenflug an Wagemut, Ideenreichtum und Originalität.

Alles läuft völlig wider die Norm. Bill Frisell, dieser wortkarge, fast scheue Genius eröffnet mit seiner halslosen Selfmade-Gitarre, zeichnet zarte, fast geräuschlose Lyrismen. Trotz gleich mehrerer Digital-Delays, Samples und Stereoeffekte wirkt der Sound angenehm menschlich, manchmal gar anrührend weich, gespenstisch entrückt, brüchig, aber allzeit reizvoll erzählend. Dann schneidet Joe Lovanos Saxophon eine tiefe Schneise in die akustische Landschaft. Diese Urgewalt mit der Baskenmütze verkörpert pure Energie, bläst gegen alles und jeden an und dominiert das fragile Gebilde eindeutig mit seiner enormen Kraft, seinen brillanten Überblaslinien. Selbst in luftig-träumerischen Balladen wie Duke Ellingtons „Sound Of Love“ verblüfft die hohe Intensität, die aus seinem Horn fließt.

Paul Motian lenkt derweil am Schlagzeug durch die vielschichtigen Abenteuer. Er füllt den Raum zwischen den Noten mit seinem räumlichen, formbaren Spiel, er denkt sich in Frisells Gitarre, in Lovanos Tenor hinein. Austausch, Probieren, Wechselwirkung, der Flirt mit dem Risiko: die Rollen verteilen sich in diesem Triumvirat sprunghaft, wobei vor allem der 66jährige Fabeldrummer immer da auftaucht, wo niemand seinen Einsatz erwartet.

So zelebrieren sie Interplay als unerlernbare Form der (Jazz-)Kunst, radieren die Trennlinie zwischen Solo- und Begleitmusikern vollständig aus. Aus den Schenkeln ihres musikalischen Dreiecks gleiten klare Strukturen in kunstvoll versperrte Themen des Real Books über und verwandeln sich durch freie, grell dissonante Improvisationen wie das aggressive Tongewitter „Mumbo Jumbo“ zur berauschenden Innenarchitektur.

Motian, Frisell und Lovano – das sind tollkühne Desparados auf einer Mission. Ihre Aufgabe: mit hypnotischer Intensität und fragmentarischer Exaktheit jede mühsam aufgebaute Grenze der Musik niederzureißen. Dadurch gerät sogar die Distanz zwischen Olymp und Hades zum Katzensprung.