Kurt Elling Band | 13.02.1998

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Beruf: Jazzsänger. Ein Hindernislauf über Geringschätzungen, Anfeindungen und Mißverständisse. Mitunter bekommt ein gestandener Mann, der es vorzieht, sanfte Balladen via Stimme zu intonieren, anstatt ekstatisch in ein Saxophon zu blasen, leicht Probleme mit den gestrengen Normenwächtern der „Jazzpolizei“.

Den deutschstämmigen Amerikaner Kurt Elling bezeichneten sie zu Beginn seiner Karriere häufig als ahnungslosen Weichling. Zu Unrecht, denn der 30jährige kann sein Organ noch konsequenter als die meisten anderen Bardenkollegen in ein vollwertiges Instrument verwandeln, den überkommenen Begriffen Crooner oder Vocalizer eine frische, zeitgemäße Bedeutung verleihen und jeden Verdacht der musikalischen Unbedarftheit, wie bei seinem jüngsten Auftritt im Neuburger „Birdland“-Jazzclub, schon im Ansatz zerstreuen.

In Sound und Tonfall an Mark Murphy, Georgie Fame oder Chet Baker erinnernd, verfügt Elling neben einer bombensicheren Intonation über eine starke, unsentimentale Emotionalität. Wie sich der extrovertierte, ganz in Schwarz gekleidete Jungstar aus Chicago und seine chronometergenau funktionierende Band schon nach wenigen Takten von „My Foolish Heart“ unwiderstehlich ins Bewußtsein des Publikums schieben, das besitzt hohe Klasse. Über das dezente Hand-Drumming von Schlagzeuger Michael Raynor, die tief gelegten Rhythmusfurchen des formidablen Bassisten Rob Amster und die immer wieder durch retarierende Patterns mit der Linken aufgelockerten, blueslastigen Linien des grandiosen Pianisten Laurence Hobgood gleitet ihr Boß im atemberaubend sanften Stil dahin.

Trotz überreichen Talents wäre Elling womöglich aber doch ein weitgehend unbeachteter Sänger geblieben, wenn ihm nicht vor wenigen Jahren der Schritt auf gefährliches Neuland geglückt wäre. Der Philosophiestudent öffnete nämlich sein mit allerlei Vorurteilen gespicktes Arbeitsfeld für die spontane Poesie der weißen Beat-Poeten und errang prompt eine „Grammy“-Nominierung sowie große internationale Beachtung.

Das Konzept wirkt angenehm unverbraucht: die Gestaltung und Auswahl der Songs oder die Auswahl der Lyrics, die Elling zu bekannten Standards von Wayne Shorter und Dave Brubeck oder gar einem Saxophonsolo von Dexter Gordon („One Flight Up“) verfasst hat. Der „singende Philosoph“ outet sich während des zweistündigen Gigs gleich mehrere Male. Mit einer großen schwarzen Klatte steht er vor dem Mikrophon und rezitiert zum freien Trio-Interplay auf deutsch (!) Poems von Kennth Rexroth, Allen Ginsberg, Lord Buckley oder gar Rainer Maria Rilkes „Wie der Fingerhut dazu kam, der liebe Gott zu sein.“

Seine nicht nur melodischen, sondern auch textlichen Improvisationen, die er selbst „Rants“ (Deklamationen) nennt, gehören mit zu den schwierigsten, gleichwohl auch faszinierendsten Unternehmungen des Genres. Elling, der „Prophet Man“, scattet und schmachtet sich durch sein Repertoire, verwendet eine knallbunte Palette von Lautmalereien und öffnet mit dieser eigentlich jazzfremden Phantasie eine dunkel-poetische, geheimnisvolle Tür zu einem neuen, emanzipierteren Vocal-Jazz, in dem künftig auch Männer ernst genommen werden dürfen.