Claus Raible Sextett | 27.02.1998

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Wenn daheim nichts mehr geht, die Auftrittsmöglichkeiten kaum zum Überleben reichen und es hinten und vorn an geeigneten Lehrern, Vorbildern und Gleichgesinnten mangelt, dann packen junge deutsche Jazzeleven derzeit häufig ihre Koffer. New York heißt das erklärte Ziel. Früher ein ewig unerfüllt gebliebener Wunschtraum, heute wegen der neuen multikulturellen Offenheit der Stadt am Hudson River ein durchaus realistisches, aufregendes, wenn auch nicht ganz risikofreies Unterfangen.

Daß sich gerade aus der einst selbst für Amerikaner höchst attraktiven Münchner Jazzszene zunehmend hoffnungsvolle Talente in Richtung „Big Apple“ verabschieden, mag nur auf den ersten Blick als Verlust erscheinen. Ob nun Cornelius Claudio Kreusch, Falk Willis, oder aber der Pianist Claus Raible – sie alle kehren irgendwann einmal zurück, um – wie nun Raible im Neuburger „Birdland“-Jazzclub – mit stolzgeschwellter Brust ihre gewaltigen Fortschritte vorzuführen.

Unter normalen Umständen hätte ein deutscher Frechdachs kaum eine reelle Chance im hungrig-aggressiven Rudel der New Yorker „Young Lions“. Doch der übungsfleißige, couragierte Sturschädel überzeugte die Platzhirsche nach und nach mit seinem brillanten, temporeichen, rhythmisch vitalen Spiel. Da verwundert es kaum, daß der kecke Raible zu seiner Premierentournee in die alte Heimat gar eine leibhaftige Legende mitbrachte: Valery Ponomarev, den ersten russischen Jazztrompeter, der Amerika zum Absprung für eine Weltkarriere nutzte und dabei sogar bei Art Blakeys „Jazz Messengers“ landete.

Wer nun freilich von Ponomarev, diesem mit allen Wassern der dampfenden Phrasierung gewaschenen Altfuchs, eine klare Führungsrolle erwartet hatte, der unterschätzte wohl die energetische Ausgewogenheit der von Raible sorgsam bestimmten Formation. Schon die Bläserfrontline mit dem heftig an Sony Stitt erinnernden Altsaxophonisten Mark Rose sowie Johannes Enders, dem markant auftretenden Tenorsaxophon-Juwel aus Weilheim, garantiert für originären Downtown-Hardbop modernster Prägung: knackig, metallisch und scharf wie eine Rasierklinge. Die pausenlos heizende Rhythmsection mit Eugen Apostolidis am Baß und Vito Lesczak am Schlagzeug läßt das bis in die Haarspitzen motivierte Sextett häufig gar wie eine donnernde Bigband klingen.

Robuste Saxophonisten im Rücken und den fast segelnden Balladeninterpreten Ponomarev zur Seite – so wirkt Claus Raible an den Tasten des Bösendorfers wie eine dynamische Reinkarnation von Wynton Kelly. Schroffe Synkopen bester monk`scher Prägung verleihen seinen verschachtelten Arrangements „You Came With Me“ oder „Smart Art“ eine besondere feurige Würze. Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis das junge Multitalent aus Germany auch auf internationaler Ebene die Schlagzeilen bekommt, die es verdient. Insofern gilt: eine Musikerflucht und ihre höchst erfreulichen Konsequenzen.