Paul Kuhn – Nachruf | 24.09.2013

Augsburger Allgemeine | Reinhard Köchl
 

Ein Leben wie ein großer Kreis. Er begann als Jazzmusiker im Deutschland der Nachkriegszeit und mauserte sich zu einem der populärsten Entertainer der Republik. Eine Karriere mit grandiosen Höhenflügen und bodenlosen Abstürzen. Am Ende umschlang ihn der Jazz wieder mit offenen Armen. Und er zahlte es mit klingender Münze zurück. Ein Unterhaltungskünstler im allerbesten Wortsinn, der in jeder Lebenslage den Nerv des Publikums traf. In der Nacht zum Montag ist Paul Kuhn im Alter von 85 Jahren verstorben.

Eigentlich hatte er noch einen proppenvollen Terminkalender: Für „Paulchens“ Auftritt Anfang November bei den Leverkusener Jazztagen gab es so gut wie keine Karten mehr. Doch Kuhns Gesundheitszustand hatte sich Anfang September verschlechtert, so dass er in eine Schweizer Klinik eingeliefert werden musste. Auf sein geliebtes Klavier wollte er aber auch da nicht verzichten. „Ich sitze täglich am Piano. Ich wüsste nicht, was ich sonst machen sollte. Es sei denn, es kommt einer und hebt den Zeigefinger und sagt: Nu is’ aber genug“, gestand er noch im März anlässlich seines Geburtstags.

Die schwarzweißen Elfenbeintasten waren sein Lebenselixier. Sie halfen ihm, eine Herzoperation 2005 zu überstehen, ebenso wie eine Reihe anderer Krankheiten. Sein schwindendes Seh- und Hörvermögen trug er mit enormer Gelassenheit, ebenso wie berufliche und private Schicksalsschläge. Hauptsache er konnte spielen. Dem Klavier verdankte Paul Kuhn seine ganze Popularität. Als die Amerikaner nach Kriegsende in seine Heimatstadt Wiesbaden kamen und den Jazz mitbrachten, wollte er sich ganz dieser pulsierenden Musik widmen. Dass es anders kam, wissen die meisten. Denn Paulchen hatte auch Witz, Entertainer-Qualitäten und noch dazu eine gute Stimme. Genau das, was die nach Lebensfreude lechzenden Menschen in den Wirtschaftswunderjahren suchten.

Bis heute repräsentiert er eine Zeit, als die TV-Bilder schwarz-weiß ins Wohnzimmer drangen, die Haarschnitte Fasson waren und das Grinsen noch eine Spur breiter wirkte. Während Kulenkampff, Carrell, Juhnke und Thoelke damals – nicht zuletzt dank seiner musikalischen Hilfestellung – regelmäßig Millionen vor die Glotze lockten, gab es als gestandener Jazzer wenig zu erben. Kuhn war der Mann am Klavier, dem man überall „noch ’n Bier“ bringen durfte. Ein erfolgreicher Schlagersänger und anerkannter Chef der SFB-Big Band. Bis ihn die Gezeitenwende aus der öffentlich-rechtlichen Wahrnehmung fortspülte.

Eigentlich habe er immer Jazz gemacht. Gut versteckt in leichten, süffigen Arrangements oder im halbprivaten Ambiente. Auch als persönlichen Überlebensreflex. Ende der 1990er Jahre kehrte dann offiziell zu seiner ewigen Liebe zurück, sei es mit seinem Trio oder der Allstar-Formation „The Best“, mit dem Deutschen Filmorchester Babelsberg, mit Größen wie Till Brönner oder der Rhythmusgruppe von Diana Krall. Er tourte mit Weggefährten wie Hugo Strasser und Max Greger als „älteste Boygroup der Welt“ und entwickelte sich auch im Neuburger „Birdland“-Jazzclub, wo er 2011 zum letzten Mal gastierte, zum gern gehörten Dauergast. Ganz nebenbei debütierte er noch im Frühjahr im ARD-Fernsehfilm „Schenk Mir Dein Herz“ an der Seite von Peter Lohmeyer – als alternder Jazzpianist. Die Rolle seines Lebens.

Selbst mit seinen Schlagern, die er nie mehr spielen wollte, hinterließ er Spuren. Götz Alsmann, Roger Cicero oder Max Mutzke drängen sich mit exakt demselben Rezept in den Vordergrund, das Paul Kuhn einst zur Ikone der Unterhaltungsbranche erhob, nämlich Swing und deutschen Texten. Der Erfolg seiner geistigen Söhne war für ihn auch eine heimliche Genugtuung.

In den Columbia-Studios von Los Angeles hing früher ein Schild, das an das Wesentlichste erinnern sollte: „Where is the melody?” Eine Frage, die sich auch Paul Kuhn unaufhörlich stellte. „Ohne Melodie geht es nicht. Sie muss schlüssig sein, etwas aussagen, ein bestimme Stimmung weitergeben.“ Die fundamentalste Erkenntnis einer bewegten Karriere im nie verlöschenden Rampenlicht.