Die Jazzgitarre im Birdland. Das ist fürwahr ein Kapitel für sich. Viele Größen wie John Scofield, Bireli Lagrene, Larry Coryell, John Abercrombie, Ralph Towner und Jim Hall waren dort zu Gast, aber auch regelmäßig, immer kurz vor Weihnachten, das legendäre Duo Helmut Nieberle und Helmut Kagerer. Ersterer ist 2020 verstorben, Kagerer kann aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr auftreten. Nach dem Intermezzo mit Martin Müller und Alex Kroll 2023 besetzen den für die Gitarre reservierten Termin nun erstmals Paul Brändle und Andreas Dombert und ziehen bei dieser Gelegenheit durchaus neue Saiten auf.
Die beiden wissen natürlich ganz genau, in wessen Fußstapfen sie an diesem Abend unterwegs sind und widmen das erste Set Nieberle und das zweite Kagerer, haben auch einige Stücke aus deren Repertoire ins Programm integriert, gehen aber vor allem mit Kompositionen aus eigener Feder neue Wege. Das Brändle/Dobert-Duo existiert noch nicht allzu lange, funktioniert aber bereits bestens. Melodie- und Begleitpassagen wechseln ständig hin und her, die Zuständigkeitsbereiche verschieben sich permanent und jeder übernimmt die Führungsrolle oder fungiert als Begleiter. Das klappt in dieser Perfektion nur, weil beide aufeinander hören und eingehen, beider Spiel ein großes, in sich stimmiges Klanggebilde ergibt, die einzeln gesponnenen melodischen und rhythmischen Fäden zu einem filigranen Gesamtkunstwerk verwoben werden.
Da darf es ruhig und trotz all des allein schon wegen Nieberle und Kagerer im Birdland-Gewölbe präsenten Bezugs zur Tradition auch mal wie bei „Like The Birds Sing“ in Richtung Minimal Music gehen, da darf man bei „Alone Together“ an Kammermusik denken oder bei Chick Corea’s „Windows“ eher an Modern Jazz, da darf wie bei „Pictures“ der Impressionismus gestreift und bei Lennon/ McCartney’s „Here There And Everywhere“ der Bereich des Pop anvisiert werden. Was immer sich die beiden auch vornehmen, ob Kagerer’s „Blues For Bireli“ oder die Jobim/Bonfa-Komposition „Black Orpheus“ nach einem Arrangement von Larry Coryell: Dieses Duo ist geradezu prädestiniert für „freundliche Übernahmen“ verschiedenster Art, weil es seine Quellen nicht verrät, sondern behutsam mit ihnen umgeht und sie so in einem neuem Licht funkeln lässt.
Weihnachtsruhe kehrt ja bekanntermaßen erst dann ein, wenn die „staade Zeit“ vorüber ist. Das ist zwar paradox, bewahrheitet sich aber jedes Jahr erneut. Im Birdland ist man diesbezüglich immer ein klein wenig früher dran als anderswo, wozu die alljährige „Night Of The Jazz Guitar“ ihren Teil beiträgt. Man kommt zur Ruhe, lauscht den zerbrechlichen Tönen, erfreut sich an den Kunststücken, die zwei hervorragende Gitarristen wie einst Nieberle/Kagerer und jetzt Brändle/Dombert am Griffbrett vollführen, schätzt die lyrische Komponente der Musik, sie seit Jahren so hervorragend in die Zeit „im Schatten der Gans“ (Gerhard Polt) passt. Ja, der jährliche Gitarrenabend im Birdland hat eine lange Geschichte und gäbe es darüber eine separate Chronik, wäre die ziemlich umfangreich. Paul Brändle und Andreas Dombert haben darin geblättert, eine neue Seite aufgeschlagen und sich darauf schon mal nachdrücklich verewigt. Also dann, im nächsten Jahr wieder? Welch reizvoller Gedanke.