Pat Martino Trio | 14.10.2011

Augsburger Allgemeine | Reinhard Köchl
 

Der Morgen danach: Kater, Brummschädel, ein seltsames Dröhnen. Und immer wieder diese Gitarre. Wie ein Echo hallen die Läufe aus dem Mittelohr zurück. Griffe von unglaublicher Brillanz und atemberaubender Schnelligkeit, ebenso logisch wie akrobatisch, virtuos wie populistisch. Gibt es überhaupt jemanden, der noch so spielt?

Der Morgen danach muss für Pat Martino vor 31 Jahren ebenfalls wie ein Traum gewesen sein. Ein Albtraum. 1980 hatte der damals schon weltberühmte Saitenhexer ein Gehirn-Aneurysma erlitten. Zwei Notoperationen retteten ihm zwar das Leben, löschten aber alle motorischen Programme. Der Mann, den sie als „Coltrane der Jazzgitarre“ feierten, wusste nicht einmal mehr, was eine Gitarre war. Was danach kam, gehört in Kategorie jener Geschichten, bei der die Legendenbildung mitunter die Realität überlappt. Angeblich schloss der Amerikaner das klaffende Loch in seinem Gedächtnis, indem er vier Jahre lang unentwegt seine eigenen Platten anhörte.

Egal ob rührendes Märchen oder harte Reha-Arbeit: Der „Fall Martino“ gilt zweifelsohne als medizinisches wie musikalisches Wunder. Längst steht der inzwischen 67-Jährige wieder auf der Bühne wie jetzt im restlos ausverkauften Neuburger Birdland Jazzclub beim 1. Radio Festival des Bayerischen Rundfunks; drahtiger, besser und erfolgreicher denn je. Seine rasenden, sensorisch zwischen Bauchgefühl und perfekter Technik ausbalancierten Linien verankern sich blitzartig in jedem Gehirn. Zehn feingliedrige Finger tanzen auf dem Steg der Gibson Heritage Cherry Sunburst mit der Eleganz und Dynamik von Spinnen, die Synchronisation zwischen rechter und linker Hand funktioniert mit der Präzision eines Computerlaufwerks.

Der Sound, den Martino samt Trio in die dampfige Atmosphäre des Hofapothekenkellers schickt, wirkt aufgeladen, fluoreszierend, gegen den Strich gebürstet und mitunter nah an der gnadenlosen Konsequenz von Rock-Performances. Irgendwann, nach 60, 70 Minuten, glaubt man erahnen zu können, warum Jazz dereinst die Massen elektrisierte, und fragt sich, weshalb diese faszinierende Ära eigentlich der Vergangenheit angehören muss. Martinos Gitarrensprache, seine Licks, Vamps und Wendungen legen plötzlich Querverbindungen zu berühmten Kollegen wie Duane Allman, Marc Knopfler, Jeff Beck, John Scofield oder George Benson frei, die sich alle etwas von ihm borgten.

Die überproportionale Lautstärke des Gigs mag vielleicht dessen eigentliches Problem gewesen sein. Ein Drummer wie Shawn Hill, der aussieht, als wäre er vom Truck einer Heavy Metal-Band heruntergepurzelt und auch so spielt, kannte die Intimität eines Jazzclub bislang offenbar nur vom Hörensagen. Angenehm kontrastierend dagegen Hammond-Organist Pat Bianchi, der fette, triefende Soundkissen unter Martinos Turbo-Lines schiebt und damit einen fast kreiselnden Soul-Groove erzeugt.

Repräsentativ für einen intensiven, adrenalinhaltigen Abend stehen die drei frenetisch erklatschten Zugaben. „McDuff“ offenbart, wie Virtuosität und Spektakel eine selten fruchtbare Liaison eingehen, „Peace“ von Horace Silver zeigt, dass auch Lautmaler mal auf Zehenspitzen gehen können, und in Bobby Hebbs „Sunny“ surft Pat Martino entspannt swingend durch das Thema. Die zeitlose Ultima Ratio der Jazzgitarre – nachzuvollziehen am Samstag, 19. November von 22.05 Uhr bis 2 Uhr auf Bayern 2 Hörfunk.