Was ist das bloß für ein durchgeknallter Typ? Schreit, knurrt und bellt in den offenen Flügel, raschelt mit Papier, drischt mit der linken Faust auf die Klaviatur, während die Rechte eine furchtbar kitschige Melodie hinsülzt.
Jetzt nuschelt er auch noch ganz im Stile eines Autisten vor sich hin, pfeift sein eigenes Geklimper nach, rupft wie ein hyperaktives Wunderkind wild an den Flügelsaiten oder schlägt im Stile eines Berserkers auf das schwarze Holz des Instruments ein, derart rüde, dass sich „Birdland“-Chef Manfred Rehm langsam Sorgen um seinen edlen Bösendorfer machen muss. Das Publikum findet Antonello Salinas` seltsames Treiben jedoch toll. Es hat seine vornehme Zurückhaltung längst aufgegeben, gluckst, kichert, prustet und pfeift frenetisch nach jeden Stück. Schließlich gibt es das ja auch nicht alle Tage: Die Fortsetzung von „Einer flog übers Kuckucksnest“. Untertitel: Im Jazzclub.
Auch der Rest des Trios ist auf seine Art spektakulär; ein stimmiges Ereignis wie ein gut besetzter Film. Selten wirkte ein Bass als Klebstoff für zwei völlig unterschiedliche Materialien so effektiv wie der von Furio de Castri, noch nie zuvor sprudelte das ansonsten eher introvertierte Horn des Weltklassetrompeters Paolo Fresu derart ergiebig. Die drei Sarden nennen sich nach ihren Vornamen Paolo, Antonello und Furio schlicht PAF, was vor allem die Besitzer eines gleichnamigen Autokennzeichens vor der Tür anfangs in ratloses Erstaunen versetzt. So reiten also die PAF-Herren auf ihrer konzeptionellen Rasierklinge durch unterschiedlichste Areale. Sie streifen die Miles-Davis-Ästhetik, die klassische Kammermusik und die Avantgarde. Ihre Musik verströmt das Parfüm des Tango, sie ist kontaminiert mit Latinorhythmen, gebadet in sardischer Folklore, trägt das Gewand des Blues und hat ständig dieses schelmische Grinsen im Gesicht.
„The next Song we play for us . . . , sorry for you . . .” Fresu rutschen diese Worte gleich nach der Pause eher zufällig heraus. Aber im Prinzip sagen sie alles über das Motiv der Band. Ihr geht es um Spaß, um das Ausloten von Grenzen; Scheitern stets einkalkuliert. Jedes Stück gleicht einer Inszenierung, einer waghalsigen Performance mit akustischem Handwerkszeug und elektronischen Effekten. Etwa „Les Contes D´Hoffmann“ von Jacques Offenbach (!): Ein Streit zwischen Bier und Wein. Der Irre an den Tasten gurgelt hier mit einem Glas Wasser und der Latin Lover an der Trompete schlonzt süßlich-dicke Töne. Comedia del Arte ohne Worte.
Aber nicht dass hier der Eindruck entstünde, Antonello Salis sei lediglich ein Witzbold, der sich als Klavierspieler verkleidet habe. Der Mann kann spielen, richtig gut sogar. Er wirft wütende Cluster aufs Elfenbein, setzt dissonante Akkorde im Dutzend vor jedes Thema, durchwühlt die 88 Tasten wie ein Sprinter die Tartanbahn und erinnert dabei frappant an den amerikanischen Free-Pianisten Cecil Taylor oder den Tasten-Querkopf Don Pullen. Fresu lässt dem schrulligen Feuerkopf alle möglichen Freiheiten, ermuntert ihn außerdem, zum Akkordeon zu greifen, um dessen Modulation mit der tänzelnden, trudelnden Trompete aufzugreifen, während Castri mit dem Bass die Melodien singt.
Alles wuselt, alles kribbelt, alles schaukelt. Ein Verwirrspiel voller positiver Energie, ein Ohrenschmaus zwischen Melancholie, Absurdität und Genialität. Das musikalische PAF-Vehikel mag zwar kaum zur Serienreife taugen. Doch nach einem Abend wie diesem verdrängt es niemand mehr von der Überholspur.