Oregon | 25.10.1997

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Jeder weiß es: Fußball, Frauen und Autos sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Diese dröge PR-Weisheit ließe sich problemlos auf den seit Jahrzehnten umstrittenen Verschmelzungsversuch des Jazz mit anderen Musikrichtungen umwandeln. Denn Fusion ist wirklich nicht mehr das, was es mal war. Vor allem damals, in den wilden 70ern, als die Steckdose als einzige Inspirationsquelle galt und viele ihre Hoffnungen und Träume auf meterhohe Verstärkertürme bauten.

Zahm sind sie geworden, die Protagonisten des Jazzrock, was wohl mit einer grundlegend geläuterten Sichtweise und nicht zuletzt mit der gesetzten Reife des Alters zusammenhängt. Die Einsicht, daß ohrenbetäubende Phonzahlen allein allenfalls eine schnellebige, vergängliche Selbstbefriedigung erzeugen, setzt sich inzwischen sogar bei „Oregon“, den unbestrittenen Grenzüberschreitungs-Pionieren, durch.

Ihr mit Spannung erwarteter Gig zu Beginn einer extensiven Europatournee im Neuburger „Birdland“ lieferte eine exakte Zustandsbeschreibung der dienstältesten Fusionband der Welt und damit auch dieses einst revolutionären Genres. Filigranes Musizieren und relativ wenig Equipment haben dem lärmenden Radau und den Materialschlachten früherer Tage Platz gemacht. Keine protzigen, erdrückenden Gesten, sondern kleine, bescheidene Nuancen dominieren heute das Tun der Gallionsfiguren.

Ralph Towner etwa, dieses absolute Muß unter allen wißbegierigen Gitarren-Kopisten, dieser Meister der Andeutungen, der Reduktion auf Kerngehalte, der Abstraktion, eröffnet: akustisch, leise, elegant. Glenn Moore, die ästhetische Norm der Band, streicht sanft mit dem Bogen seinen Kontrabaß, der oben statt der üblichen Schnecke einen Löwenkopf besitzt. Die beiden Saiteninstrumente erzeugen einen feinen Boden über den die Oboe von Paul McCandless hüpfen kann, wie ein flinkes Eichhörnchen.

So wie in der heiteren Towner-Komposition „Joyful Departure“ klang „Oregon“ schon einmal: zu Zeiten ihres verstorbenen Gründungsmitgliedes Collin Walcott. Weil die Gruppe nach mühevoller Zeit ohne Perkussionisten nun endlich mit Mark Walker den idealen Ersatz für den eigentlich unersetzbaren Ex-Kollegen fand, wirkt in Neuburg alles irgendwie neu, unverbraucht. Als hätte der Dinosaurier des Fusionjazz keine 27 Jahre auf dem Buckel, verknüpft er lustvoll europäisch-mittelalterliche Tanzmusik mit orientalischen Ideen, führt zu den Wurzeln der Folklore, wo alles einfach nur Klang ist, durchmischt mit atemloser Stille.

Furiose Bilder, überwältigende Soundjuwelen: strahlte die Atmosphäre noch Sekunden zuvor in unbezähmbarem Optimismus, taucht plötzlich mit „Nightfall“ ein düsterer, glitschiger Sumpf mit lauter Irrlichtern auf, zu dem das Sopransaxophon wie ein Rudel Werwölfe heult. Die Tuchfühlung zum Jazz bleibt. „Clarida“ boppt pfiffig, „Leather Cats“ streunt durch Free-Gefilde. McCandless strickt mit Baßklarinette, Flöten und Waldhorn elegische Motivketten, Moore bedient bei Bedarf mit satten Walking-Linien, während Towner am Piano verträumte Läufe und wohldosierte Synthesizer-Schwaden einwirft.

Bei diesen kraftvollen Visionen gerät selbst ein Blick in die Vergangenheit zum unverklärten Vergnügen. „Hits“ wie Jim Peppers „Witchi-Tai-To“ und „Silence Of A Candle“ erleben im „Birdland“ eine vorbildlich moderne, fast kammermusikalische Renaissance. Und nach zwei frenetisch erklatschten Zugaben gilt es, eines geradezurücken: „Oregon“ sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. 1997 sind sie stimmiger und besser denn je!