Old Friends | 10.03.2001

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Eine vergleichbare Konstellation im Rock könnte wohl nur Marius Müller-Westernhagen, Herbert Grönemeyer, Peter Maffay, Udo Lindenberg, Wolfgang Niedecken und Campino heißen. Genauso wie bei jener des Jazz, die sich selbstbewusst den eher glanzlosen Namen „Old Friends“ verpasst hat und an diesem denkwürdigen Abend im brechend vollen Neuburger „Birdland“-Jazzclub auftritt, würde es sich um sechs beispiellose Visionäre, Konkurrenten, Partner, Leidensgenossen und Triumphatoren ihres Genres handeln.

Denn ohne Albert Mangelsdorff, Klaus Doldinger, Eberhard Weber, Wolfgang Dauner, Manfred Schoof und sogar den Jüngsten Wolfgang Haffner besäße der deutsche Jazz heute unter Garantie ein anderes Gesicht. Alle zusammen auf einer Bühne – dies lässt sich selbst bei vorsichtigem Umgang mit Superlativen eigentlich nur als kleine Sensation beschreiben. Dass ein Konzert schon vor Drucklegung des Programms restlos ausverkauft war, hat es in der 43-jährigen „Birdland“-Geschichte sowieso noch nicht gegeben. Dementsprechend auch die Erwartungshaltung und der Empfang.

Schon beim Betreten des Kellers unter der Hofapotheke gibt es langen Beifall und kurz darauf gleich eine Novität: Eberhard Webers nöliger Basston walkt im Opener „Suggestion“ überraschend druckvoll swingend dahin. Irgendwie wirkt das Zusammenspiel bereits nach wenigen Sekunden befreiter, homogener, einvernehmlicher, als auf der viel zu steifen „Old Friends“-CD, was auch an der inzwischen vielgerühmten Atmosphäre des Neuburger Clubs liegen mag, den später jeder einzelne via Mikrofon über den Schellenkönig lobt.

Denn Jazzkeller wie diese findet man nur noch selten, ebenso wie Musiker von solchem Profil. Aber wie soll ein Intermezzo auseinanderdriftender Charaktere mit völlig unterschiedlichen Biografien überhaupt verlaufen? Auf dem oft zitierten kleinsten gemeinsamen Nenner wohl kaum. Die sechs tun in Neuburg etwas, was ihnen wahrscheinlich die wenigsten zugetraut hätten: sie hören einander zu, achten aufeinander, bewegen sich miteinander und lassen so im Laufe eines wundersamen, beseelten Abends schlagartig alle Stilschranken zu Staub zerbröseln.

Zum Beispiel in „Crosstalk“, bei dem der gnadenlos attackierende Trompeter Schoof eine Horde avantgardistisch quakender, plappernder Hühner imitiert, die schließlich in einen leicht galoppierenden Groove übergeht. Oder „Und so weiter, and so on“, ein walzerndes Stück aus der Feder des Klangmalers Weber, sperrig, kantig, stachelig, das Wolfgang Dauner, diese pianospielende Karl-Lagerfeld-Kopie, mit herrlich-spritzigen, bluesgetränkten Läufen und Comping-Techniken garniert.

Der große Mangelsdorff ehrt „Birdland“-Chef Manfred Rehm höchstpersönlich mit seiner Ode an die ehrenamtlichen Jazzclub-Betreiber „Danke, Hut ab!“ sowie einem seiner legendären Intermezzi aus verschleiften Posaunen-Doppeltönen. Doldinger, sonst ein erklärter Fusionderwisch, erkundet urplötzlich im Sturzflug modale Schluchten, während Power-Drummer Haffner den lyrischen Soli Mangelsdorffs mit seiner weich-schleppenden Besenarbeit eine fast innere Wärme und Emotionalität verleiht.

Am prägnantesten offenbart jedoch die umjubelte Dauner-Komposition „Wendekreis des Krebses“ mit einer eindringlichen, wellenförmigen, fast hypnotischen Klavierfigur, dass hier keine bunt zusammengewürfelte Aneinanderreihung profilierungssüchtiger Egomanen am Werke ist. Jeder hat nur die Essenz der Musik im Auge und den eigenen Spaß im Sinn.

Sechs Superstars, die durch dieses Projekt wahrscheinlich erst richtige Freunde geworden sind, ziehen eine verbindliche Quersumme dessen, was Jazz in Deutschland im Jahr 2001 bedeutet. Und das Publikum feiert diese Sternstunde mit ehrlichen, verdienten Ovationen.