OktoberSpecial 1999 – 28. bis 31. Oktober 1999 | 28.10.1999

Neuburger Rundschau | Dr. Tobias Böcker
 

OktoberSpecial 1999 – 28. bis 31. Oktober 1999

Der sensationelle Auftritt der „Bop Giants“ war der berauschende Höhepunkt des heuer erstmals durchgeführten OctoberSpecial im Birdland Jazzclub zu Neuburg an der Donau. Erstmalig war es auch gelungen, einen hochkarätigen Sponsor zu gewinnen: Die Deutsche Bank Kulturstiftung hatte sich für ihren Einstieg in den Jazz just den traditionsreichen Club in der kleinen Donaustadt ausgesucht.

Nein, kein Festival, keine kurzfristige Überfütterungsaktion, sondern ein Special, das in etwas verdichteter Form, in vier Konzerten in vier Tagen vom 28. – 31.10., das repräsentiert, was in Neuburg seit Jahr und Tag mit Erfolg praktiziert wird: ein auf das ganze Jahr verteiltes Programm auf hohem Niveau mit relativ großer Angebotsbreite. Die Palette reichte dabei von klassischem Bebop bis hin zur zeitgenössischen Avantgarde.

Den Auftakt bildete das Dave Holland Quintett. Der englische Bassist, heuer von den Kritikern des Down Beat zur Nr.1 an seinem Instrument gewählt, bestätigte seine Ausnahmestellung in eindrucksvoller Weise. Eher kühl und trocken agierend läßt er den Baß dennoch förmlich brennen. Auch in der Rolle als Leader einer hochklassigen Band zeigt er sich mit überlegener Souveränität. Er hält zusammen, was zusammengehört, gibt den Puls vor, ist die kreative Mitte eines komplexen Geflechts voller Farbe und Ausdruckskraft. Mit Robin Eubanks´ wendig und virtuos rhythmisch durchstrukturierten Linien an der Posaune, den versonnenen Gedanken von Chris Potter an den Saxophonen, der überlegten Harmonik des Vibraphons von Steve Nelson und der kreativen Sensibilität von Billy Kilson an den Drums ergibt sich eine intelligente und tragfähige „balance“ des Zueinanders herausragender Musiker. Erhabene Technik, Ideenreichtum, Phantasie und hohes gegenseitiges Einfühlungsvermögen zeichnen Holland und seine Mitstreiter aus. Fein strukturierte komplexe Musik wird in einer Perfektion und Präzision geboten, die ihresgleichen sucht. Das Quintett steigert geheimnisvoll verschränkte Rhythmen und energetische Melodien zu Momenten von ekstatischer und gleichzeitig sensibel bleibender Vollendung. Vor allem das zweite Set überzeugte. Kenner des Neuburger Jazzkellers atmeten richtiggehend auf, als nach der Pause bekannt wurde, daß die Verstärkeranlage nicht mehr funktionierte. So konnte zum uneingeschränkten Genuß avancieren, was Dave Holland selbst ein wenig entschuldigend als „unplugged“ bezeichnete. Im Nachhinein zeigte sich auch der Star von der akustischen Atmosphäre des Neuburger Clubs angetan. Warum er den Veranstaltern nicht vorher glauben mochte, daß der Verzicht auf Verstärkeranlagen in Neuburg eher stärkt als schwächt, bleibt wohl sein Geheimnis.

Wer gedacht hatte, nach dem Dave Holland Quintett sei eine Steigerung kaum möglich, wurde bereits am Abend darauf angenehm enttäuscht. Das Marc Copland Quartett zelebrierte den Jazz an der Innenseite der Wirklichkeit mit einer meditativen Intensität, die Zeit und Raum vergessen ließ. Einer der immer noch meistunterschätzten Pianisten schüttelt in verinnerlichter Inspiration Sternenstaub aus dem Bösendorfer in das angstbeladene „dark territory“ des Lebens. Copland hat in seinem langjährig eingespielten Trio mit Ed Howard und Billy Hart zusammen eine einzigartige Kultur des Zuhörens entwickelt. Mit Anmut, stillem Charme und schillernder Intensität entwickeln sie im Lauschen dichte Räume, in denen Innerlichkeit und Kommunikation zusammenfließen. So gefundene Klangräume schließen sich nicht ab, entfalten Freiheit, öffnen sich. In sie hinein bläst der großartige Bob Berg am Tenorsaxophon energievolle Linien, coltraneske Kaskaden voller innerer Glut. Da wird selbst ein klassischer Swing-Standard wie „I got rhythm“ zum Freiheitserlebnis. Und das ist die andere Seite des Quartetts von Marc Copland: kraftvolle Intermezzi voller Blues, Wut und Härte, mächtige Entladungen feuerspeiender Urgewalt erstehen aus der Innerlichkeit, die doch bei all dem niemals verloren geht, immer die Basis ihrer selbst behält.

Am Samstag dann die „Bop Giants“: Zugeständnis an den Publikumsgeschmack, nostalgische Erinnerung an die gute alte Zeit oder eine All-Star-Combo, die routiniert die Standards herunternudelt? Keineswegs! Eigens für dieses eine Konzert zusammengebeten brachten die „Bop Giants“ eine wirkliche Sensation ins Birdland. Eine Supergruppe aus den fünf lebenden Legenden Teddy Edwards (78!), Dusko Gojkovic, Kirk Lightsey, Jimmy Woode und Alvin Queen zeigte einem begeisterten Publikum, was es heißt Spaß zu haben. Noch nie hatten die fünf in dieser Besetzung zusammen gespielt, und so schnell wird es auch nicht wieder dazu kommen. Die muntere Altherrenpartie entwickelte sich in atemberaubendem Tempo zu einem überwältigenden lebendig swingenden Happening. Bluesgeladen, lebensfroh und in kreativem Miteinander rissen sie sich gegenseitig mit zu einem wahrhaft gigantischen Konzertereignis, das viel mehr war als nur die Reminiszenz an eine Zeit, in der das Leben noch nicht ganz so kompliziert erschien wie heute. Vielleicht nahm man es auch – ohne die in unseren Tagen allzu gegenwärtige Flucht in die Oberflächlichkeit – nicht ganz so schwer. Die musikalischen battles der Bop Giants vergegenwärtigten jedenfalls jede Menge positiv frischer Energie, von der sie auch der Zukunft noch einiges mitgeben können.

Mit C.C. Kreusch´s Blackmudsound zeigte der Sonntag dann eine Mischung aus Jazz und Trance, Hip-Hop und Fusion, grenzüberschreitenden „Afrojazzfunk“ der ganz anderen Art, ein Kontrapunkt, ohne den das Special vielleicht nicht vollständig gewesen wäre. Zyklische Rhythmen, ostinate Baßfiguren, ein aggressiv hämmerndes Fender Rhodes, und das alles in Diskothekenautstärke: Man kann sich natürlich fragen, ob das nun die Zukunft ist. Aber dazu war zu vieles zitiert aus den 70ern, und zu platt war auch die rap´oetry, die Jimmy Rage von sich gab: „Sometimes you feel good and sometimes you feel broken hearted“: Wie wahr, wie wahr. „Children them got never wings“ lautete eine weitere Weisheit, und „nothing is ever ever ever finished“. Das Konzert war es dann doch. Ein bißchen Fusion garniert mit Esoterik – da durfte auch der Hinweis auf das „Neujahr des Hexenkalenders“ nicht fehlen – Weltmusikpartikeln und Selbstbewußtsein – „We are the perfect musical minds“ – , das ist ganz unterhaltsam, aber es reicht wohl nicht aus, die Zukunft zu definieren.

Alles in allem: Das Minifestival, nein „Special“ in Neuburg an der Donau gab Impulse in einer großen Bandbreite, Stoff zum Nachlauschen und Nachdenken, Blicke in die wunderbare Gegenwärtigkeit des Jazz und jede Menge Spaß. Zu hoffen bleibt, daß dieses OctoberSpecial nicht als einmaliges Ereignis in die Annalen des Birdland eingeht, sondern noch die eine oder andere Neuauflage erlebt.