Dave Holland Quintet | 28.10.1999

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

OktoberSpecial 1999

Jazzkonzerte und der Sound: normalerweise ein eher nachgeordnetes Thema, da improvisierte Musik zumeist im überschaubaren Rahmen der kleinen Clubs stattfindet. Konzerthallen und die dabei unabdingbare elektrische Komponente kommen allenfalls für die ganz wenigen Superstars des Genres in Frage, zu denen der englische Bassist Dave Holland ohne Zweifel zählt.

Einem wie Holland darf man jedoch zutrauen, dass er mit all seiner Souveränität auf jeweils unterschiedliche Gegebenheiten zu reagieren weiss, das Unplanbare als belebenden Faktor annimmt, anstatt es als Störung zu empfinden, und vor allem über die nötige Klasse verfügt, um einen Veranstaltungsort nach seinen akustischen Grenzen zu beurteilen. Flexibilität und Anpassungsvermögen: fürs Gros der Jazzgilde längst Bestandteil des professionellen Rüstzeuges, weil jeder um die Brüchigkeit des Astes weiß, auf dem sie alle als Mitglieder einer Minoritätenkultur sitzen.

An Dave Holland scheint diese Erkenntnis jedoch vorbei gegangen zu sein. Der 53jährige in New York lebende Tieftöner, für viele der augenblicklich kreativste Klangschöpfer des modernen Jazz, sorgt beim Auftaktkonzert des heuer erstmals stattfindenden „Oktober-Specials“ des Neuburger „Birdland“-Jazzclubs und der Kulturstiftung der Deutschen Bank für ein absolutes Novum. Brüsk negiert er den von vielen Musikern zuvor als einzigartig gerühmten Raumklang im Keller unter der Hofapotheke und verschanzt sich stattdessen trotz eindringlicher Mahnungen der Veranstalter hinter einem „Wall Of Sound“.

Eine eilig herbeigeschaffte, völlig überdimensionierte Verstärkeranlage, expressive, über Mikros um ein Vielfaches potenzierte Bläser, ein krachendes Schlagzeug und eine gnadenlos unsensible Tontechnikerin: das intime, vollbesetzte „Birdland“ gerät schlagartig zum lärmenden Rocktempel. Dabei besäßen Hollands Kompositionen wie „The Balance“ oder „Mr. B“ (für Ray Brown) genügend Charakter, um allein durch ihre strukturelle Kraft jeden mühelos in ihrem Bann zu ziehen.

Der Bassist und sein Quintett suchen nach Kontrasten, nach verschlungenen Melodielinien, die über den Horizont der fassbaren Musik hinausreichen. Chris Potter, der trefflich nuancierende Tenor- und Sopransaxofonist, sowie Robin Eubanks, der Magier der dunklen Farben an der Posaune, genießen die Freiheit ihrer ausladenden, zum Teil verblüffend ineinander verzahnten Soli. Der gläsern tönende Vibrafonist Steve Nelson und der virile Drummer Billy Kilson bauen um beider Exkurse offene, aber durch ein kompaktes rhythmisches Netz gefestigte Räume. Dave Holland selbst wirkt derweil wie ein Moderator zwischen den Extremen. Omnipräsent, schlichtend, anstachelnd, fokussierend, hat er scheinbar alles im Griff – bis auf die Brücke zum Publikum.

Kurz vor der Pause passiert dann etwas Wundersames: aus dem ganzen technischen Inferno steigt plötzlich Rauch auf, der Geruch von verschmorten Kabeln liegt in der Luft, die Verstärkeranlage verweigert ihren Dienst. Hollands resignierte Ankündigung, die Band sei gezwungen, nun „unplugged“ fortfahren, gerät bei „Birdland“-Stammgästen zunächst zum Lacherfolg und dann zum ungewollten Triumph. Erst jetzt, ganz auf die Natürlichkeit ihrer Instrumente reduziert, entsteht nämlich ein faszinierendes Hörabenteuer, das ohne die zuvor künstlich herbeigeführten Effekte vor Abwechslung und kommunikativer Vielfalt nur so überschäumt.

Fazit: ein Konzert in zwei Teilen, wie sie unterschiedlicher kaum hätten sein könnten, ob der am Schluß euphorischen Reaktionen völlig perplexe Musiker, und die Erkenntnis, dass es gerade im Jazz doch eine höhere, ausgleichende Macht geben muß.