Ohad Talmor „Back To The Land“ | 12.04.2025

Donaukurier | Karl Leitner
 

Im Nachlass des legen­dären Altsaxofonisten Lee Konitz fand Ohad Talmor nach dessen Tod 2020 bis­her unveröffentlichte Aufnahmen, auf denen jener zusammen mit Ornette Cole­man – ebenso Freigeist wie Konitz selbst – zu hören ist. Talmor hat diesen Fund transkribiert, ihm Variationen und eigene Stücke hinzugefügt und stellt das Ergeb­nis seit nunmehr drei Jahren bei passen­den Gelegenheiten an geeigneten Orten immer wieder mal vor. Für dieses Vorha­ben scheint kaum ein Ort mehr in Frage zu kommen als der Birdland-Jazzclub in Neuburg, wo beide, Konitz und Talmor, kurz nach der Jahrtausendwende sogar selbst einmal zusammen aufgetreten sind.

„Wir machen das so wie es Coleman gemacht hätte“, sagt Talmor gleich zu Beginn. „Einfach anfangen und ohne Stopps durchspielen. Ich schätze mal, es wird so um die 45 Minuten dauern.“ Dann öffnen Talmor mit seinem Tenorsa­xofon, Chris Tordini am Kontrabass, Eric McPherson am Schlagzeug, Joel Ross am Vibraphon und der sensationel­le David Virelles am Flügel die Schatz­truhe, entwickeln aus deren überliefer­tem Inhalt einen magischen Sud, ein bro­delndes Gebräu aus aufsteigenden The­menfetzen, sich scheinbar zufällig entwi­ckelnden Melodien, die, nachdem man gerade dabei war, sich von ihnen verzau­bern zu lassen, wieder verschluckt wer­den, abtauchen und verklingen. Dieser erste Block – und auch der zweite nach der Pause – enthält sphärische Passagen neben rasenden Arpeggios, vom Pianis­ten eruptionsgleich aufgetürmte Tonhau­fen, die sich wundersam auflösen, wäh­rend die Band forsch vorprescht, sich treiben lässt oder sich akustisch fast auf­löst und nur noch ein mächtiger Bass­berg stehen bleibt, um die nächste Se­quenz vorzubereiten.

Die einzelnen Teile der beiden Blöcke stehen untereinander in Verbindung, mit­unter werden rote Fäden hörbar. Die Mu­sik, die scheinbar völlig spontan entsteht, folgt einem vorher festgelegten Ablauf­plan, die sich daraus ergebenden Räume werden vom Solisten nach individuellen Vorstellungen gefüllt. Das bedeutet aber nicht, dass jeder tun kann was er will. Im Gegenteil, man kann sehr gut beobach­ten, wie das Quintett funktioniert, wie ei­ner auf den anderen hört, die Ideen der Partner zu seinen eigenen macht, mit ih­nen spielt, sie transformiert, variiert und weitergibt. Und weil das Ganze ein hochenergetischer Prozess ist und man es hier mit exzellenten Musikern zu tun hat, denen hinsichtlich der Dynamik, der Gestaltung von Spannungsbögen und der Möglichkeiten der Interaktion keiner et­was vormachen kann, gibt es im Laufe des Abends immer wieder Situationen, in denen man meint, in einen Malstrom aus Wirbeln und Spiralen hineingezogen zu werden, was anfangs auf manches Ohr im voll besetzten Birdland vielleicht et­was ungewöhnlich wirken mag, recht bald aber für wohlige Schauer sorgt.

Und dass sich schließlich im Erbe der Herren Coleman und Konitz schließlich dank der Neugier, der unermüdlichen Spurensuche und des Bearbeitungsge­schicks Talmor’s auch noch Spuren von Dewey Redman, Herbie Mann, Billy Higgins und Charlie Haden wiederfin­den, ist das Zuckerl obendrauf. Zwei Säulenheilige des Jazz, deren bislang verschollenen Schätze und eine Band, die geradezu prädestiniert ist, sie zu he­ben. – Was will man mehr?