Als der aus Brooklyn stammende Tenorsaxofonist Noah Preminger 2017 zum ersten Mal im Neuburger Birdland Jazzclub zu Gast war, befand sich Donald Trump gerade mitten in seiner ersten Amtszeit. Und 2021, bei seinem zweiten Gastspiel an der Donau, dachte man, der Spuk wäre endgültig vorüber. Wie man sich doch täuschen kann. Preminger bezog damals eindeutig Stellung, als Künstler, als Intellektueller und als amerikanischer Staatsbürger. Und nun ist er wieder zu Gast in der Stadt, „in der man als Musiker empfangen wird, als wäre man einer der Royals, was nicht eben häufig vorkommt,“ wie er sagt.
Vor kurzem erst hat ein Album mit dem Titel „Ballads“ veröffentlicht, worauf sich Titel wie „Democracy“ und „Unfair World“ befinden, was man durchaus für ein Indiz halten könnte dafür, dass ihm die Figur, die sich erneut erdreistet, sich „Mr. President“ zu nennen, gehörig im Kopf herumspukt. Aber nein, keinen dieser Songs spielt er an diesem Abend und balladesk geht es bis auf eine Ausnahme – „Carry Me Ohio“ des Singer/Songwriters Mark Edward Kozelek und dessen Band Sun Kil Moon – schon gar nicht zu. Statt dessen verschafft er sich, mit anscheinend einer gehörigen Portion Wut und Empörung im Bauch, über sein Instrument Luft, bläst seine Empfindungen hinaus in das Kellergewölbe, kraftvoll, bisweilen fast ungestüm, aber freilich immer auch künstlerisch brillant und musikalisch über jeden Zweifel erhaben.
Bereits bei seinem letzten Besuch im Birdland konnte man die enorme Bandbreite seiner Ausdrucksmöglichkeiten bewundern, seine Kompositionen, die sich mitunter unversehens in gänzlich unerwartete Richtung entwickeln und doch wegen ihrer eindringlichen Grooves nie an Bodenhaftung einbüßen und geprägt sind von einer Art elastischen, bieg- und dehnbaren Kompaktheit. Und sie transportieren Empfindungen. Mit Julian Shore aus Rhode Island am Klavier, Phil Donkin aus Sunderland, England, am Kontrabass und Leif Berger aus Köln am Schlagzeug als Kollegen hinter und als Partner neben sich, legt er sein Innerstes offen. Selten etwa hat man ein derart trauriges Stück im Birdland gehört wie „Rainin’“, das er nach der Trennung von seiner Lebensgefährtin im Dezember 2024 am ersten allein verbrachten Abend in der leeren Wohnung geschrieben hat.
Wer sich wie Preminger Gedanken um seine persönliche Situation machen muss, für den gibt es in diesem Augenblick vermutlich Wichtigeres als die Zustände im Weißen Haus, aber ein politisch denkender Mensch wie er verrät deswegen noch lange nicht seine Überzeugung. Er spiele an Wochenden regelmäßig in einem Club in Boston, erzählt er. Dort finde man im Publikum ganz selbstverständlich Menschen jeder Hautfarbe, jeden Alters, jeden Geschlechts, jeder Herkunft, Einheimische und Touristen, treulich vereint. Das sei für ihn die Idealsituation, was eine Abordnung aus Boston, die im Birdland zugegen ist, auch lautstark bestätigt. Dass die US-Regierung gerade dabei ist, diesen Zustand in sein Gegenteil zu verkehren, macht ihm anscheinend wirklich Sorgen und dass er sein Stück zu diesem Statement „Humus“ nennt, sagt schon einiges aus. Wie auch die Tatsache, dass er sein Konzert ausgerechnet mit Don Cherry’s „March“ beginnt, einem Künstler, dem persönliche und musikalische Freiheit über alles ging. – Ein denkwürdiger Abend.