Noah Preminger Quartet | 22.10.2021

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Was ist jung? Früher, da stürmten die Talente mit Anfang 20 die Bühnen, heute gilt Noah Preminger mit seinen 35 Jahren schon als Speerspitze des Jazz-Nachwuchses. Dabei fing der Tenorsaxofonist aus Brooklyn tatsächlich kurz nach der Pubertät als Profi an und ist mit seinen mittlerweile 14 (!) Karrierejahren bereits so etwas wie ein alter Hase. Dennoch klingt sein Spiel und das seines Quartettes bei seinem mittlerweile zweiten Auftritt im Neuburger Birdland, der das 11. Birdland Radio Jazzfestivals einläutet, noch einen Tick innovativer, gerade weil er mit den bewährten Ingredienzien neue, tollkühne, abenteuerliche Rezepte präsentiert.

Da beginnen Stücke wie das dänisch betitelte „Hygge“ (Gemütlichkeit) mit einem einminütigen Schlagzeug-Solo, aus dem mühsam ein lässiger, dreckiger, stinkender Blues hervorkriecht und sich durch das vollbesetzte Gewölbe schleppt, flankiert von den spröden, flinken, gläsernen Linien des eigentlich nur als Ersatz mitgereisten, phänomenalen Gitarristen Max Light. Alles entwickelt sich bei Preminger wie bei einer fein ausgeklügelten Strategie, die eine Geschichte als Ursprung für emotionale, partnerschaftliche Improvisationen verwendet. In „Hygge“ zum Beispiel schlurft irgendwann der Bass von Kim Cass durch den Hofapothekenkeller, bis plötzlich die anfängliche Entspannung in Unruhe und dann in großstädtische Hektik umschlägt. Die zirkulierenden Phrasen des Saxofons drehen sich immer schneller, angetrieben von einer züngelnden, spitzen Gitarre: So übertragen vier bestens gelaunte Musiker den urbanen Puls New Yorks in Nu auf die pittoreske Beschaulichkeit Neuburgs.

Der Sound des Quartetts fordert und kitzelt, er groovt und pulsiert – nicht mehr zu vergleichen mit den akademischen Herausforderungen und geometrischen Winkelzügen seines Premierenkonzertes von 2019, als ein Trompeter an seiner Seite für ein sterileres Oeuvre sorgte. Diesmal schwitzt es aus allen Notenporen, heiß, lebenshungrig, humorvoll, adrenalinhaltig und fantasievoll. Preminger outet sich in seinen launigen Ansagen als einen Musiker, den die späten 1990er Jahre sozialisiert haben, einer Zeit, in der Galionsfiguren wie der Tenorsaxofonist Joshua Redman oder der Gitarrist Kurt Rosenwinkel das Maß aller Dinge darstellten. Eine Ära, in der die „Young Lions“ die Szene zu erobern trachteten und der Pop ins Herz des Jazz vordrang. So klingt dann auch seine Komposition „The Late 90th“: ein bisschen funkig, ein bisschen stylisch, ein bisschen protzig, mit einem Saxofonisten, der mit einem unglaublich energetischen, feuerspeienden Solo eine ungefähre Ahnung vermittelt, wie stark die Jazzlandschaft um den Hudson River damals in Flammen stand.

Ein besonderes Schmankerl ist „Halfway To Hartford“, eine schrullige Hommage auf die Hauptstadt von Noah Premingers hassgeliebtem Geburtsstaat Connecticut. Stromernd, nervös, ständig am Anschlag hetzt das Stück dahin. Den Turbo zündet dabei immer wieder Schlagzeuger Dan Weiss mit seinem sensationellen krummen, verzinkten Drumming, bei dem er permanent seinen Schlag eine Viertelnote hinter dem Beat platziert. Daraus resultiert eine rasende Fahrt über den nächtlichen Highway mit mindestens 150 Sachen, plötzlichen Stopps, riskanten Überholvorgängen, bis Preminger schließlich Hartford erreicht hat. Aber war es wirklich sein Ziel?

Die lautstark erklatschte Zugabe trägt den Titel „Sky Continues“, inspiriert von den eigentlich sinnleeren Versen eines unbekannten Dichters. Dafür macht die Musik von Preminger und Co. umso mehr Sinn! Jeder Schnitt, jede Nuance sitzen, viele Rätsel und Mythen lösen sich mit einem Lächeln und einer Notenkaskade in Luft auf. Und am Schluss bleibt die beruhigende Gewissheit, dass es sogar so etwas wie eine Zukunft geben kann. An der des Jazz bastelt Noah Preminger maßgeblich mit.