Noah Preminger Quartet | 27.09.2019

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

„Intelligenter Jazz“ ist im Prinzip eine Tautologie wie „weißer Schimmel“ oder „runder Kreis“. Dem Jazz sagt man sowieso nach, dass er in Sachen Anspruch über nahezu allen Musikstilen steht. Keine simplen Melodien oder stumpfsinnigen Groove, sondern häufig verändernde Harmonien und durchbrochene Rhythmen. Musik mit feiner Hand und klugem Köpfchen zusammengebastelt. Braucht man zum Jazzhören womöglich gar Abitur?

Noah Preminger würde das entschieden verneinen. Die Kompositionen des 33-jährigen amerikanischen Tenorsaxofonisten und Shootingstars, die er nun zum ersten Mal im Neuburger Birdland vor einem überraschenderweise fast ausverkauften und – noch ein wenig überraschender – restlos begeisterten Hofapothekenkeller vorstellte, kommen direkt aus dem Bauch und treffen mitten ins Herz, manchmal sogar die Füße. Dass dennoch im Zusammenhang mit Premingers Musik immer wieder der Begriff „intelligent“ auftaucht, haben sich er und seine ebenso jungen Mitstreiter aus der Abteilung „Sturm und Drang“ selbst zuzuschreiben.

Einfach war gestern. Wenn der bärtige, aus Connecticut stammende Bandleader, der im zarten Alter von 21 Jahren zum ersten Mal als Leader in Erscheinung trat und inzwischen 14 Alben unter eigenem Namen veröffentlicht hat, einen Song baut, dann wählt er bewusst andere Wege. Welcher Jazzmusiker würde sich zum Beispiel mit Georg Friedrich Händel beschäftigen, dann auf Filmmusik umschwenken, um im nächsten Stück dem Erz-Blueser Lighninʼ Hopkins ein Denkmal zu bauen oder im rasanten Holperspeed durch all die Kurven und Unwägbarkeiten in seine Geburtsstadt „Halfway To Hartford“ zu fahren? Balladen wirken bei ihm kaum lieblich, sondern eher melancholisch. Über „For The King“, das er seinem verstorbenen Freund gewidmet hat, liegt ein unüberhörbarer Schleier.

All dies besitzt eine starke politische Komponente, mit der sich Preminger von der neuen politischen Kultur Amerikas abgrenzen will. Kein Mainstream, kein billiger Populismus, keine schnellen, einfachen Aktionen, sondern kreative Lösungen als Antwort auf die drängenden Fragen dieser Zeit. Zu diesem Zweck hat er vier Gleichgesinnte mit nach Neuburg gebracht, die mit ihm über verschlungene Wege fast immer zum Ziel kommen. Bassist Kim Cass walkt nicht etwa stupide durch die Themen, sondern modelliert seine tiefe Töne in diesem Quartett ohne Harmonieinstrument mit Bedacht und Leidenschaft. Schlagzeuger Dan Weiss führt mit verschachtelter Polyrhythmik unscheinbar hinter dem Drumset Regie, während der agile Trompeter Jason Palmer mit mal flimmerndem, mal strahlendem Growl seinem Boss nicht nur einmal die Schau stiehlt.

Doch für Noah Preminger, dem erfrischenden Gegenmodell eines Ego-Blowers, ist das allemal okay. Alle Soli der Band verstehen sich nicht als Nabelschau, sondern als Gesamtkunstwerk, bei dem sich Trompete und Tenorsaxofon ineinander verschränken, sich unterfüttern oder anspitzen. Raffiniert! Dann steppt Preminger mal leichtfüßig mit einigen Intervallsprüngen in einen Shuffle hinein, und niemand merkt, dass er ihn eigentlich gerade subtil zerstückelt. Clever! Mal überführen Cass und Weiss einen fetten Funk-Groove in ein atonales Stimmengewirr. Schlau!

Oder eben Jazz, aktuell, modern, hip und mitnichten verkopft. Die Leute im Hofapothekenkeller haben die Botschaft auch ohne größere intellektuelle Kraftanstrengungen verstanden. Zum Dank kredenzen Preminger und Co. in Neuburg noch eine Weltpremiere, nämlich das noch nie zuvor gespielte Stück „One“. Ein musikalischer Entwurf wie eine Frisbee-Scheibe: rotierend, auf- und absteigend, blitzschnell. Und ziemlich genial!