Niels-Henning Ørsted-Pedersen Trio | 24.01.2004

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Der Kontrabass, das sonderbare Wesen. Seit Patrick Süskinds Bestseller kennen selbst Jazzungewandte die blumigen Allegorien um den seltsamen Holzkasten. Mal treibt oder trudelt er scheinbar teilnahmslos dahin, dann jubiliert oder singt er. Zicken kann er auch ganz gut, Stimmungen torpedieren. Schlagartig schweigen oder urplötzlich losmarschieren. Und er ist immer da. Omnipräsent. Unverzichtbar.

Die Bedeutung dieses vermeintlichen Off-Instruments dringt aber erst so richtig ins Bewusstsein, wenn einer wie Niels-Henning Ørsted Pedersen zum Greifen nah auf der Bühne Platz nimmt. Und es belegt irgendwie auch die ganze Hilflosigkeit vieler Kollegen, die sich vergeblich mühen, dem Bass sein typisches Eigenleben einzuhauchen. Beim Gros klingt er wie ein dumpfes Donnergrollen, bei manchen ist er schlicht nicht zu hören. Bei dem großen Dänen verwandelt er sich dagegen pausenlos. Mal perlen Töne klar und sauber wie Tautropfen vom Steg, mal klingen sie vollreif wie eine vom Baum gefallene Kirsche, dann wieder süß wie ein dicker Klecks Honig oder so emotional und echt wie eine Träne.

Diese nachschwingenden Laute, diese flinken, bombensicheren Griffe im oberen Bereich, diese raffinierte Coolness beim Auflösen der Harmonien, die auch leise Melodien in jeder Sequenz hörbar werden lassen: In den Händen des Wikingers bekommt ein Bass Flügel. Und die Menschen um ihn herum große Ohren. Nicht nur Oscar Peterson, der NHØP (so Pedersens Kurzformel) seit Jahrzehnten als seinen ganz persönlichen Puls nutzt, weiß dies. Auch die Menschen strömen aus allen Himmelsrichtungen in den Neuburger „Birdland“-Jazzclub, wo der 56-Jährige zusammen mit dem schwedischen Gitarristen Ulf Wakenius (ebenfalls Dauermitglied der Peterson-Crew) sowie dem Drummer Jonas Johansen ein intimes Clubkonzert geben soll.

Aber was heißt schon intim? Seit langem war der Keller unter der Hofapotheke nicht mehr derart proppenvoll. Jedes Solo wird gierig aufgesogen und frenetisch gefeiert, als würde gerade die Musik neu erfunden. Filmemacher Julian Benedikt hält den bemerkenswerten Auftritt sogar für eine ZDF-Dokumentation über Jazz in Europa fest.

Dabei vollführen Pedersen, Wakenius und Johansen alles andere als ein Schaulaufen. Das Trio stellt sich selbst schwierigsten Aufgaben und löst diese mit verblüffender Leichtigkeit. Es spannt einen weiten thematischen Bogen und bleibt doch immer durchschaubar, bodenständig, ganz nah dran an den Menschen. Vielleicht ist das das Geheimnis. Ob Bach, Billie Holiday oder skandinavisches Volkslied – alles mündet in ein Kontinuum aus Form, Eleganz, dezentem Swing, Geschmack, Virtuosität und Leidenschaft.

Wie anders lassen sich Momente wie bei Miles Davis` „All Blues“ kurz vor der Pause erklären? Wenn die mächtigen Klauen den Anfangsakkord intonieren, wenn die Magie dieses sanft, aber unbeirrbar variierenden Drei-Ton-Gebildes langsam durch den Raum kriecht, die Leute Zentimeter für Zentimeter wellenförmig überzieht, dann weiß jeder, dass dieser Bass  längst seine emanzipatorische Reifeprüfung absolviert hat.

Dazu die stupende Gitarrentechnik von Wakenius, der grellen akkordischen Blitzen, donnerartigen Doppelgriffen und eruptionsartigen Synkopierungen urplötzlich schlichte, einfach Läufe von völliger innerer Symmetrie und wärmender Schönheit folgen lässt. Oder das verschachtelte, faszinierend groovende Drumming von Jonas Johansen, der es versteht, ohne ein Jota Spannungsverlust eine flirrende Ballade in ein schräges, superschnelles „Caravan“ laufen zu lassen.

Mitzuerleben, wie ein scheinbar totes, schwer beherrschbares, gleichwohl wunderbares Ding durch Zupfen, Streicheln, Kratzen, Schaukeln oder Prügeln erwacht, wie sich das Publikum zwei Zugaben erkämpft und danach glücksselig nach Hause wankt – was braucht der Jazz mehr, um sich gegen zeitgeistige Dumpfheit zu behaupten?