Eric Alexander Quintet | 16.01.2004

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Wenn Jazzmusiker ihr Tun erklären müssen, fällt häufig der Satz: „Es kommt nicht so sehr darauf an, was du spielst, sondern wie du es spielst.“ Eric Alexander ist so einer, der diese These in die Welt gesetzt haben könnte. Einer, bei dem es im Prinzip völlig egal ist, in welcher Reihenfolge die Noten daherkommen. Einer, der mit seinem Tenorsaxofon allem einen tieferen Sinn verleiht. Und der dem Jazz endlich seine Seele zurückgibt, die irgendwann zwischen Kommerzgier, Selbstfindungseifer und Ratlosigkeit verloren ging.

Dass der 34-Jährige, der in den USA längst den Status eines Kultsaxofonisten genießt, jetzt im Neuburger „Birdland“-Jazzclub kurioserweise als „Rising Star“ debütierte, macht durchaus Sinn. Noch viel zu wenige hierzulande kennen den Wunderknaben aus New Jersey, weshalb auch die Ovationen des Publikums für Alexander und sein exquisites Quartett gewisse Züge von überraschter Verblüfftheit trugen. Denn wenn der verwöhnte Keller unter der Hofapotheke jedes Solo wie eine kleine Sensation feiert, so spricht dies schon für den ungestillten Heißhunger der Fans nach etwas Authentischem, nach dem Duft von klingendem Schweiß und Rauch, swingendem Adrenalin und virilem Kräftemessen. Kurz: Nach Werten, die dem Jazz einst seine einzigartige Atmosphäre verliehen.

Dabei würde niemand auf die Idee kommen, Eric Alexander das Etikett „altmodisch“ aufzupappen. Der unscheinbare Bursche mit dem adretten Haarschnitt reproduziert keine auswendig gelernten Formeln, sondern hat sich längst zu einem der begabtesten Erzähler seit Sonny Rollins entwickelt. Ein Supertechniker, der immer der Verlockung widersteht, seine immensen Mittel zur varietereifen Selbstdarstellung zu missbrauchen. Wie ein seismografischer Katalysator misst er die emotionalen Ausschläge seiner Umgebung und wandelt sie in klingende Statements um, die jeden überzeugen.

Bis auf wenige balladeske Ausnahmen geht es munter im Schweinsgalopp dahin. Das atemberaubende Tempo eines Titels wie „Swedish Schnapps“ hätte sogar dessen Urheber, den Geschwindigkeits-Weltmeister Charlie Parker, straucheln lassen. Dass dabei Alexanders erster Lehrer, die lebende Pianolegende Harold Mabern, zwischen allen Stühlen mit allen Stilen jongliert, absolut glaubwürdig von Monk zu Fats Waller oder Bobby Timmons hin- und herspringt und das fulminante Gebläse mit seinem unverwechselbaren rhythmischen Biss aufraut, zeugt von überaus rarer innerer Symmetrie.

Mabern ist ein fröhlicher Wachmacher, der nie Ruhe geben kann. Selbst bei den ebenso kreativen wie gewaltigen Alleingängen von Drummer Joe Farnsworth oder den verästelt-subtilen Exkursen des Bassisten John Webber muss er stets seine Finger im Elfenbein haben, unbedingt ein paar Akkorde dazu tupfen. Aus diesen Ingredienzien entsteht ein knochentrockener, siedend heißer Blues. Ein tonales Stück Magma, dem der 67-Jährige mit seinen sprudelnden Stride-Figuren die rote Krone aufsetzt. Ein Festmahl aus Struktur, Form und Leidenschaft, bei dem sogar das normalerweise stumpfsinnige Mitklatschen der Leute zum ersten Mal sinnvoll und absolut angebracht erscheint.

Die ewigen Normenkontrollwächter würde naserümpfend konstatieren: Es war Bebop. So What! Die Schublade, aus der die Band gerade hüpft, spielt an diesem schwerelosen Abend überhaupt keine Rolle. Es hätte auch Funk, Punk, Acid, Klassik, Folk oder Schlager sein können. Und genau in dieser Hinsicht ist Alexander der Große allen hippen Zeitgeistern um mehr als eine Nasenlänge voraus.