Nicolas Simion Transsylvanian Night | 23.05.2009

Donaukurier | Clara Fiedler
 

Die Nacht beginnt mit einer Zugreise. Und es ist keine gewöhnliche. Es ist eine derer Fahrten, auf denen man aus dem Fenster starrt, sich verliert in der hermetischen Magie der Landschaft, die draußen an einem vorbeizieht. Da träumt man sich hinaus in die stimmungsvolle, schwarzblaue Düsternis, die nach Regen und Abenteuer riecht, das Geräusch des Zuges fällt zurück ins Unterbewusste, man hört und sieht einzig die Gedanken, die man in der neuen Umgebung zum Leben erweckt. „A night in the Train“ betitelte der Saxophonist Nicolas Simion die Komposition, mit der er am vergangenen Samstag im Birdland die Jazz-Saison zu einem würdigen Abschluss brachte. Die Reise geht nach Transsylvanien, die Zugführer sind fünf fantastisch fulminante Zauberkünstler aus den engsten Kreisen des musikalischen Lagers, das Dusko Gojkovic einmal als „Balkan Jazz Mafia“ bezeichnete.

Vor allem der polnische Trompeter Pjotr Wojtasik besticht durch einen messerscharfen Ansatz, brutale Höhen, kernige Tongebung und Unerreichbarkeit. Zusammen mit Simion, dessen weiches, klares und in sich ruhendes Sopransaxophon fast an Coltrane erinnert und jede erdenkliche Schattierung von Blau enthält, bildet er eine Frontline, die es schafft, im scheinbar chaotischen, angeregten Zwiegespräch beinahe unerträgliche Spannungsfelder zu kreieren, diese in der harmonischen Parallele aufzulösen, abzubauen.

Lieven Venken am Schlagzeug indessen zelebriert den Rhythmus als System. Bei keinem seiner Soli vermisst man Harmonik und Melodie, obwohl die Orientierung an der Letzteren unüberhörbar ist. Alles andere ist Übersetzung, Übertragung der Kompositionen in seine Sprache. Bassist Joris Teepe steht ihm dabei in nichts nach: eine Rhythmusgruppe, wie man selten erlebt.

Auf „Kisses for Mariuka“, einem Stück, in dem Martin Lubenov am Akkordeon sein schier unfassbares Können beweist, folgt eine weitere Widmung, ein Stück, das Simion nach eigenen Angaben aus seinem Blaskapellen-Trauma und düsterer Grundstimmung holen sollte. „Ciacconna for Chet“ beginnt mit der obligatorischen Linie im Bass und vertieft sich fast bis zum Grund in eine einfache, aber bedrückende Traurigkeit. Simion beendet sie mit einem Lächeln und dem Kommentar „Das war traurig, aber das ging gerade noch“, entführt dann direkt in die pulsierenden Rhythmen und ungeraden Takte der Volksmusik seines Landes und bittet dann sein Publikum „bei ‚Lullaby’ bitte nicht zu laut zu schnarchen, sondern nur ganz dezent“. Und auch im zweiten Set kommt man nicht aus zwischen „lateinamerikanischem Ramba-Zamba“, osteuropäischen Liedern und tiefschwarzer Jazztradition. Simion wechselt dabei fliegend zwischen Klarinette, Sopran, Tenor, Bassklarinette und dem ungarischen Tarogato, einem klarinettenähnlichen Holzblasinstrument, spielt mit gehaltvoll-exotischer Würze, ein wildes Lächeln im Herzen und afroamerikanisches Feuer im Blut, und verliert dennoch nie dieses souveräne, warmherzige Strahlen im Ton.

Zum Schluss verlässt die Rhythmusgruppe die Bühne, Simion und Lubenov bleiben mit einem Volkslied. Man bleibt bis zum Schluss in Osteuropa. Verlassen will man es nicht mehr, muss man auch nicht. Schließlich wird einen im September zu Saisonbeginn das Dusko Gojkovic Quintet genau da abholen.