Er habe die wegen Corona konzertfreie Zeit genutzt und viel komponiert, sagt der Trompeter Nico Weber. Und nun sei er ganz begierig darauf zu erfahren, wie das Ergebnis denn nun live klinge und welche Resonanz es beim Publikum hervorrufe. Und so steht er also zusammen mit dem Pianisten Maxim Burtsev, dem Kontrabassisten Jakob Jäger und dem Schlagzeuger Pascal Haas auf der Bühne des Neuburger Birdland Jazzclubs und wagt mit seinem Nico Weber Kwartett quasi den Stapellauf aus dem Trockendock.
Zuerst ist die junge Band, die sich an der Hochschule für Musik und Theater in München zusammengefunden hat, hauptsächlich noch mit den Strukturen der jeweiligen Kompositionen beschäftigt. Viel ist vorgegeben, festgelegt, das meiste straff organisiert. Bereits hier offenbart sich eine gewisse Handschrift, entwickeln sich diese griffigen Melodien, die man durchaus als kompositorische Fußabdrücke bezeichnen könnte. Steht bei Stücken wie „Weimar“ und „Look, They Destroy Themselves“ noch deren Organisation im Focus, spielt sich die Band mit „Anticipation“ Mitte des erstens Sets so richtig frei. Jetzt lässt sie sich selbst von der Leine, füllt den vorgegebenen Rahmen mit Leben. Und nachdem ihr gleich anschließend mit „Dolphin Dance“ eine ganz tolle Herbie Hancock-Adaption gelingt, scheint nun auch die anfangs vielleicht noch vorhandene Nervosität wie weggeblasen. Jetzt hat die Band endgültig mehrere Handbreit Wasser unter dem Kiel.
Nach der Halbzeitpause geht’s weiter mit „Sail Away“ von Tom Harrell, dessen Foto gleich rechts neben der Bühne an der Wand hängt, und dem vermutlich eindringlichsten Stück des Abends, das Weber schlicht mit „Requiem“ betitelt und all jenen gewidmet hat, die ihre Heimat und ihre Menschenwürde verloren haben. Nach der Bearbeitung von Maurice Ravel’s „Pavane Pour Une Infante Défunte“, das die balladesken Möglichkeiten der Band aufzeigt, wird’s am Ende sogar noch politisch, zumindest was den Titel des Stücks „Boris On His Pentatonic Tricycle“ angeht. Denn mit Boris ist ausdrücklich der britische Premier gemeint, den sich wohl manch einer tatsächlich eher auf dem Dreirad auf dem Kinderspielplatz vorstellen kann als auf der Weltbühne.
Nico Weber ist auf vielerlei unterschiedlichen musikalischen Feldern unterwegs, komponiert und arrangiert für Big Bands, arbeitet mit diversen Gruppierungen innerhalb seiner Universität, ist mit der Indie-Popband Stray Colors zu hören. Wie er in einigen Jahren klingen wird, weiß mit Sicherheit heute niemand. Sollte er freilich an dieser Band in dieser Besetzung festhalten, wäre das eindeutig ein Glücksfall für die junge Jazzszene hierzulande. Denn im Konzept der Formation sind so viele tolle Ideen erkennbar, liegen so viel Begeisterung und Witz, so viel Gespür für einen eigenen Ausdruck und auch so viel Potenzial, dass in Zukunft einiges zu erwarten ist. Ja, es wäre in der Tat schön, diese Band bei Gelegenheit erneut im Birdland begrüßen zu können. Man will ja schließlich wissen, was aus Weber und seinem „Kwartett“ geworden ist.