Nguyên Lê – Rita Marcotulli | 27.03.2009

Donaukurier | Clara Fiedler
 

Nguyen Le tastet. Sein Laptop gibt experimentelle Klänge von sich. Er rückt auf seinem Stuhl hin und her, drückt Knöpfe, verschiebt Effektgeräte so, dass er sie schnell erreichen kann, wenn er sie braucht. Ein sphärisches Einrichten. Ein übermenschliches Grinsen im Gesicht rückt er sich in die unerreichbaren Weiten seiner Musik.

Pianistin Rita Marcotulli bezieht ihren Platz am Bösendorfer und legt Akkorde über den synthetischen Grund: Fast klassisch, brachial und balladesk zugleich. Hin und wieder blitzt ein Stück Vertrautheit durch die so fremd erscheinenden harmonischen Landschaften, die sie zaubert. Dokument ihrer unermesslichen musikalischen Souveränität, eines Geistes, der Klangfarben so hundertprozentig kennt, dass er sie in für den normalen Hörer nicht mehr nachvollziehbare Zusammenhänge bringen kann.

Und dann das Spiel mit dem Geräusch. Ein keuchendes Atmen, weißes Rauschen, diffuse Klaviertriller darüber, absorbierende Entfremdung. Man wartet, tastet, fühlt sich schwerelos und ist fast erleichtert über das Zurückfallen ins poetisch-lyrische Innere eine Melodie.

Mit „G. Continuo“ stellt sich Rita Marcotulli vor: einen klassischen Piano-Groove im Intro.
Jede der Nummern reißt unvermittelt mit, die Akteure verlieren sich nicht ein einziges Mal aus den Augen. Es ist eine Konzentration, bei der die Welt wegfällt. Sie sitzen im Licht ihrer Geister, das Dunkel um sie herum berührt sie kaum, ein Leben rast auf einer imaginären Leinwand vorbei, verzerrte Natur, erschreckend anorganische Brillanz, und doch Musik von befremdlicher Wärme, zwei Temperamente, die so exakt zusammenfließen, dass sie nicht mehr zu trennen sind.

„Sound Magic“, so beschreibt Lê seine Musik auf seiner Homepage. Klangmagie, das ist sie wirklich. Elektronische Sounds, Rock, Jazz, Volksmusik, Funk, eigentlich alles Dinge, die eine sehr homogene Mischung abgeben könnten. Lê setzt jedes davon so ein, dass es überrascht, dem Geschehen eine Wende gibt. Man schließt die Augen, der Kosmos rast an einem vorbei, man öffnet sie und findet sich auf einer vietnamesischen Neujahrsfeier, und das in einem Thema, das genauso gut von Steps-Mastermind Mike Mainieri stammen könnte. Es braucht Mut, um sich völlig in diese Klänge hineinzubegeben.

Alles kann passieren. Entspannung bis zur Trance, unerträgliche Überreizung, die wie eine logische Folge im Abbau, in der Reduktion gipfelt, und immer wieder die Rückkehr zum Bewusstsein.

„Wir bleiben in Vietnam“, kündigt Lê die letzte Nummer an: Ein Lied, so wie es vielleicht geboren wurde, mit Herzschlag, mit Rufen, mit feiernden Menschen, die staunend ein Feuerwerk beobachten. Und das alles im Unisono von Klavier und Gitarre, der beiden Instrumente, die sich gefunden haben, obwohl sie sich nie suchen mussten, schließlich hatten sie sich nie verloren.

Die Zugabe ist ein warmer Fluss, ein Ankommen auf der Erde, mit dem Willen, ein möglichst großes Stück von der Welt zu behalten, in die man sich an diesem Abend begeben hat, wenn man die Kellertreppe wieder hinaufsteigt.