New Orleans Shakers | 01.10.2021

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Die Herren belieben zu scherzen. „Ich lasse jetzt mal einen fahren“, sagt Torsten Zwingenberger, und das Publikum im Neuburger Birdland lacht. Einen Zug, meint er, mit Dampflokomotive vorneweg. „Damit versaue ich mir so richtig meine persönliche CO2- Bilanz.“ So startet also der „Happy Steamtrain“, bei dem man getrost die Augen schließen und dann das schnaubende, dampfende, wartende Ungetüm im Bahnhof stehen sehen kann, weißer Rauch inklusive. „Alles einsteigen und zurücktreten“, ruft der Schlagzeuger, und es geht tatsächlich mit einem Pfiff los. Erst schaufelt Zwingenberger mit dem Besen auf der Hi-Hat Kohlen, dann erhöht das Schwungrad der Lok über die Bassdrum das Tempo. Der klassische Shuffle Trainbeat, in den nach und nach auch die New Orleans Shakers einsteigen. Das kommt prima an. Der Drummer und die Leute sind happy, und die Stoßrichtung des Abends liegt klar auf dem Tisch: Entertainment, leichte Kost, gut konsumierbar, ohne Akademismus, in die Füße gehend und swing-as-swing-can. Die New-Orleans-Variante des Jazz, dargereicht in einer deutschen Version.

Dazu gehört auch das, was man gemeinhin Conference nennt. Im konkreten Fall verbindende Worte von Torsten Zwingenberger sowie Bandleader, Klarinettist und Tenorsaxofonist Thomas LʼEtienne; launig, manchmal auch ein bisschen selbstverliebt und arg lang. Aber zugegebenermaßen einige Male recht witzig. So erzählt LʼEtienne, dieser fein nuancierende Klarinettist und variabel-kernige Tenorist, von seinem jazzaffinen Neffen: „Onkel Thomas, du liebst doch Nat King Cole? Ja natürlich, über alles! Warum singst du ihn dann?“ Diese Art von Selbstironie ist derart entwaffnend, dass man dem weitgereisten Frontmann seine vokalen Intermezzi durchaus verzeihen kann. Schließlich ergänzt er sie ja noch mit seiner prägnanten Instrumentalstimme, die Songs wie „Cry Me A River“ oder „Burgundy Street“ von George Lewis in ein gleißendes Licht zu tauchen vermag, das dann die kurzfristig eingesprungenen Sideman effektiv zu dimmen verstehen. Thibault Falk am Piano und Carmelo Leotta am Kontrabass erweisen sich in der Tat als mit allen Wassern gewaschene Rhythmuscrew, die viele nicht unbedingt auf den ersten Blick erkennbare Akzente setzt.

Manchmal wirkt das Repertoire der New Orleans Shakers, die nach einer Schaffenspause seit 2009 wieder gemeinsam musizieren, wie eine Ansammlung von Fundstücken. „Caldonia“ von Louis Jordan oder „Sentimental Journey“, das ältere Semester noch aus dem Mund von Doris Day oder Ella Fitzgerald kennen, hört man in dieser Stringenz und ungekünstelten Leidenschaft nicht mehr allzu oft. Warum nur? Sind sie womöglich zu wenig modern? Diese Frage lassen die New Orleans Shakers lieber offen, denn schließlich sind sie an die Donau gekommen, um mit den Birdland-Gästen ausgelassen ihre große Leidenschaft zu feiern, auf die sie während der scheinbar endlosen Corona-Zwangspause wie viele andere Kolleginnen und Kollegen verzichten mussten. Daraus entwickelt sich ein Konzert, das mehrere Anläufe braucht, um eine ausgewogene Mischung zwischen Spielfreude und Mitteilungsbedürfnis zu kreieren. Die musikalischen Exkurse der „Shakers“ führen über brasilianische Choros bis hin zu ostafrikanischen Rhythmen, Geräuschen und Stimmungen, Letztere in anschwellender Lautstärke von Torsten Zwingenberger in einem langen Schlagzeugsolo verpackt.

Und dann natürlich die verbalen Einlagen zwischen der Musik, die das Konzert unnötig in die Länge ziehen und manchmal auch ziemlich überflüssig wirken, wie LʼEtiennes Bemerkung, dass in Brasilien nur diejenigen Jazzkritiken schreiben dürften, die auch ein Instrument spielen und komponieren können – also „Fachleute“ (eine Warnung?). Manchmal besitzen sie aber, wie schon erwähnt, durchaus ihren Reiz, etwa, wenn Zwingenberger erklärt, dass jeder verkaufte Tonträger in der Pause „eine Selbsthilfegruppe für angstfreies Musizieren unterstützt“. Überhaupt lohne es sich, das Birdland mit einem Besuch zu unterstützen, sagt der Berliner Drummer. „Denn das ist der Club mit dem besten Programm in ganz Deutschland, wenn nicht in ganz Europa!“ Ausnahmsweise mal kein Witz.