New Connexion, feat. Greg Osby | 04.10.2002

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Ein Konzert, das Platz greift, das Aufmerksamkeit und ein Umdenken erfordert. Keine leicht verdauliche Kost. Es gastiert Greg Osby, der zeitlose Held des New Yorker Undergrounds, die Galionsfigur der M-Base-Kultur, jener Bewegung, die Mitte der 90er Jahre alles musikalisch fest Verankerte aus den Angeln zu reißen schien, es dann aber doch bei einigen grellen Blitzen beließ.

Aber was heißt schon „er“ gastiert? Der Hoffnungsträger am Altsaxofon macht höchstens als Teil einer ungewöhnlich innerlichen, intensiven Band, die noch dazu aus der beschaulichen Schweiz kommt, Station im Neuburger „Birdland“-Jazzclub. Und Osby ordnet sich vorwiegend dem Kollektivkonzept und den Arrangements der „New Connexion“ unter, ja er hält sich über weite Strecken sogar bewusst im Hintergrund, überlässt stattdessen lieber Pianist Michael Arbenz, dessen Bruder Florian Albenz am Schlagzeug sowie Bassist Bruno Rousselet das Rampenlicht. Junge Männer, die auf den ersten Blick wie ein Rudel lässiger, provokationsgieriger Künstler wirken und sich auf den zweiten Blick als eines der erregendsten Pianotrios entpuppen, das jemals von europäischem Boden aus mit Notenwerten zündelte.

Die Vier klingen mal enorm dicht, dann wieder bis zur Selbstverleugnung karg. Ihre spektakuläre Virtuosität und Vielseitigkeit, gepaart mit gezügelter Entdeckerlust türmt viele akustische Bauwerke auf. Die komplex inszenierten Kompositionen von Michael Arbenz bewegen sich zwischen weit gespannten Trossen, in denen – ähnlich wie bei Zeltdach-Konstruktionen – einzelne Flächen verankert sind. Jedes dieser Elemente ist anders strukturiert: Farbig das eine, monochrom das andere. Düster und licht, zerkratzt, geriffelt, geschuppt, geschwungen, kantig, zerklüftet, poliert. So wie die Vorstellungen des Architekten und die Auswirkungen des Wetters jedem Teil eine andere Gestalt verleihen, produzieren Osby und die „New Connexion“ immens vielfältige Einheiten, die sich als Bestandteil einer spannungsgeladenen Großarchitektur zu verblüffenden Stücken fügen.

„Trafiction“ mit seinem mal hastigen, mal bedächtigem „Stop and Go“ arbeitet mit rhythmischen Strömungen und Gegenströmungen und scheint durch ein unsichtbares Gummiband zusammengehalten. Auf den sich brechenden Klangwellen reitet eine Schaumkrone aus Osbys völlig anderem Saxofonansatz, der zwar nicht radikal mit der Tradition bricht, aber endlich einmal eine plausible Lösungsvariante für die Ära nach Charlie Parker offeriert. In „Approach“ schwebt das Alto über Florian Albenz` sanften Schlagzeugwirbeln, den dunklen Klangtupfern von Bruno Rousselets Kontrabass und den weiten „Sheets“, die Michael Albenz mit seinem empfindsamen Anschlag, den repetitiven Morsesignalen und den fulminanten Clustergewittern erzeugt.

Die Gruppe produziert keine Daily Soaps, keinen Hollywood-Kitsch, keine Buntcomics, sondern eine authentische Dokumentation der Pluralität, Anonymität und Einsamkeit dieser Gesellschaft. Osby und Co. tun dies in einer musikalischen Radikalität, die sich gegen jeden beiläufigen Konsum sperrt und ähnliche Aufmerksamkeit wie ein zeitgenössisches Streicherquartett verlangt.

Diesen Anforderungen hielt das Publikum im Hofapotkenkeller freilich nicht stand. Während vor der Pause ein brabbelndes Kleinkind in den vorderen Reihen vom eigentlichen Geschehen ablenkte, stellte sich danach heraus, dass sich einmal mehr fast die Hälfte der Besucher in der Vielfalt des „Birdland“-Programms „verlaufen“ hatte. Wirklich schade.