Nduduzo Makhathini Quartet | 05.11.2021

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Was für eine coole Mütze! Kommt einem irgendwie bekannt vor. Tatsächlich verbindet jeder Jazzfan diese spezielle Schiffchen-Kopfbedeckung ausschließlich mit einem Namen: Thelonious Monk. Und nun sitzt einer aus der neuen Generation, nämlich Nduduzo Makhathini, da am Flügel des Neuburger Birdland-Jazzlubs, spielt, singt, erklärt leidenschaftlich, philosophiert, er und das Publikum schwitzen im Gleichklang. Und auf dem Kopf trägt er – trotzdem, oder gerade wegen der großen Hitze – eine schwarze Monk-Fellmütze.

Dass der südafrikanische Ausnahmepianist mehr als einmal an diesem ungewöhnlichen, berauschenden Abend vor ausverkauftem Haus zu Monk 2.0 mutiert, wie die schrullige Piano-Legende schräge Synkopen, tapsige Blockakkorde und hinkende Läufe in die Klaviatur drückt, ist nur ein Aspekt des immensen Ausdruckspektrums dieses 39-Jährigen. Der Mann mit dem für deutsche Zungen nahezu unaussprechlichen Namen hat auch den vor Kraft schier berstenden McCoy Tyner drauf, kann aber auch wie eine Siamkatze über die Tastatur schleichen. Je länger der Abend dauert, um so mehr wird klar, dass Nduduzo Makhathini aber längst über eine eigene, unverwechselbare Stilistik verfügt, die ihn zu einem der Shootingstars der Zwanziger Jahre aufsteigen lassen könnte. Hier sitzt ein Geschichtenerzähler, der es versteht, jeder Note eine besondere Bedeutung zu verleihen. Makhathini breitet zusammen mit seiner fulminanten Band in gut zweieinhalb Stunden sein gesamtes Leben aus; das eines musikalisch reich gesegneten Talents, das zwischen der christlichen Kirche und seinen Vorfahren in einer zweigleisigen Spiritualität aufwuchs, aber auch schon in einer Bank arbeitete. Und dabei kommt der des Englischen kundige Zuhörer dem wahren Geist des Jazz so nahe wie selten zuvor.

Wenn der Tasten-Zauberer mit glänzenden Augen daran erinnert, dass Jazz immer die Musik der afrikanischen Diaspora war und die Odyssee des „Black Atlantic“ ihren Anfang an den Westküsten des Kontinents im Süden von Europa nahm, dann tauchen mit einem Mal all die großen Geister auf, die ihn seit Jahren lenken und über ihn wachen: die Pianisten Don Pullen, Randy Weston und Andrew Hill, aber vor allem John Coltrane. Makhathini und der lichterloh brennende, scharf züngelnde ghanaische Saxofonist Tony Kofi liefern unmittelbar nach der Pause in bester Coltrane-Manier ein Exempel für berstende, entwaffnende Intensität. Die Band mit dem kraftvollen französischen Bassisten Geraud Portal und dem archaischen Schlagzeuger Lukmil Perez aus Kuba erweist sich als mächtiger Energieleiter, der es famos versteht, das Publikum in Wechselbäder zwischen brachialen Stürmen und milden Frühlingslüftchen zu schicken.

Nicht nur als Virtuose und Komponist ist Nduduzo Makhathini eine Figur von beeindruckendem Format. Für ihn und seine Kollegen sind Gigs wie der im Hofapothekenkeller nicht einfach nur Jobs, die man routiniert herunterschrubbt. Die vier leben ihre Musik mit jeder Faser ihres Körpers, kosten die bis zu 20-minütigen Eigenkompositionen, die Namen aus der Sprache der Zulu wie „Emlilweni“ tragen, was Makhathini mit „innerlich brennende Feuer“ übersetzt, oder „Abantwana Belanga“ (Kinder) bis zur Neige aus und empfinden am Schluss dieselbe große Genugtuung wie die Zuschauerinnen und Zuschauer. Auch die interaktiven Mitmach-Gesangseinlagen vor Ende der beiden Konzerthälften, die sich bei anderen Gelegenheiten oft als plumpe, durchschaubare Animationsversuche entlarven, um ein verunglücktes Konzert zu retten, bekommen plötzlich einen Sinn: Die Musik gehört allen! Ohne Menschen, die zuhören und sich freuen, haben Musiker keine Chance.

In Neuburg fressen sie dem singenden, spielenden und strahlenden Nduduzo Makhathini förmlich aus der Hand. Am Schluss stehen alle unter Strom, klatschen sich die Finger wund und wollen mehr. Eine ausgelassene, grandiose Stimmung, wie es sie bislang in dieser Form noch nie im Birdland gab. Ein Abend für das Langzeitgedächtnis!