Munich Swing Orchestra | 16.09.2004

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

(Jazz im Audi Forum Ingolstadt)

Doch, die Musik passt ins Radio. Als ob sie dafür geschrieben worden wäre, sanft über die Ätherwellen zu gleiten und wie dicke Honigtropfen aus dem Lautsprecher zu plumpsen. Stichwort „eleganter Klangteppich“: Du fühlst dich nicht sonderlich bedrängt oder gar gestört, nimmst aber auch kaum wahr, was gerade gespielt wird.

Dissonanzen wären Blasphemie. Ein Wohlfühl-Erlebnis erster Güte. Jazz? Vielleicht. Ist ja ein weites Feld, auf dem eine Menge Platz hat. Für die Besucher des ausverkauften Museum Mobile im Ingolstädter Audi Forum jedenfalls war es nicht weniger als ein schöner Abend. Keine Überfälle durch wilde, langmähnige Klang-Avantgardisten, keine befremdlichen Experimente, keine Misstöne. Charly Hahn und sein Munich Swing Orchestra geleiteten sie behutsam in die Welt der Evergreens, und der Bayerische Rundfunk zeichnete das Konzert mit seinem Ü-Wagen auf.

Es war etwas ganz Besonderes: die 500. Sendung der BR-Kultreihe „Jazz auf Reisen“. Der Abschied des in den Ruhestand gehenden BR-Jazzredakteurs Peter Machac. Und das dritte und vielleicht perfekteste Konzert der Münchner Swing-Gentlemen mit ihren weißen Dinner-Jackets im Audi-Forum. Perfekt ist relativ und trügerisch. Kann ziemlich gut sein. Oder nur ein bisschen gut. Ein massenkompatibles Produkt, populär, ohne Umwege auf Erfolg ausgerichtet, manchmal aber auch ziemlich klinisch, aseptisch. Natürlich swingt das Orchester, klingt wie eine Reinkarnation seiner Vorbilder. Aber es fehlt diese adrenalinhaltige Dynamik, die Power der großen Big Band-Kraftwerke eines Duke Ellington oder Count Basie.

Dankenswerterweise setzen Charly Hahn und seine Mannen diesmal nicht so sehr auf die Trumpfkarte „Glenn Miller“. Der wäre heuer 100 Jahre alt geworden und mochte im Prinzip sowieso keinen Jazz. „Das Einzige, was er wollte, war Erfolg“, beschreibt ihn Tenorsaxofonist und Ansager Dieter Müller-Sonius treffend. Wenn Major Miller in diesen Tagen die Betreuung der US-Truppen im Irak gestalten müsste, würde er wahrscheinlich Ambient-Pop oder House spielen. Damals war eben Swing angesagt, die Charts voll mit tanzbaren Noten – zuckersüße Marshmellows wie Millers Adaption des „St. Louis Blues“ und das unvermeidliche „In the Mood“.

Es sind die weniger bekannten Nummern, die Seitengassenhauer, die Hahns Mannschaft wirklich gut, süffig gelingen. „Basie Straight Ahead“ aus der Feder des Count und vor allem Neil Heftis Arrangements „Lil Darlin“ und „Teddy the Toad“. Ab und an wird da schon die Rasierklinge für ein Solo ausgepackt, etwa von Jimmy Polivka (Trompete) oder von Erhard Rigol (Posaune). Die Sängerin Nina Michélle aus Vancover sammelt solch gefährliche Gegenstände jedoch schnell wieder ein. Ihr rauchig, samtiges Organ besitzt zwar kaum die nötige Durchschlagkraft, um sich erfolgreich des Drucks einer Big Band zu erwehren. Doch die Auftritte der attraktiven Songlady treten schlagartig alle Glutnester aus, die sich kurzzeitig gebildet haben.

Geschmackvoll, glamourös, glatt. Vor allem „Sing Sing Sing“, das im Original bei Benny Goodman wie ein Flächenbrand und die embryonale Phase des Rock anmutete, offenbart nachhaltig die verpasste Chance: Ein allenfalls angedeutetes Schlagzeugsolo von Hilmar Binder, drucklose Bläsersätze, gefahrlose Breaks. Das Munich Swing Orchestra hat an diesem Abend niemandem weh getan. Vielleicht hätte es das aber gerade tun müssen, um sich selbst, gerade vor dem Hintergrund einer Bayern weiten Radioausstrahlung, zu beweisen. Das Jazzpublikum draußen besteht nämlich nicht nur als Nostalgikern.