Heinz Sauer Trio | 11.09.2004

Neuburger Rundschau | Dr. Tobias Böcker
 

Der Jazzclub bleibt ein Biotop schöpferischer Prozesse. Hier entsteht Musik ohne Netz und doppelten Boden direkt und unmittelbar auf der Bühne und vor dem Publikum. Eine jener Musiker, die sich mit Haut und Haar einlassen auf die schöpferische Energie des Augenblicks, ist Heinz Sauer. Der 71jährige Saxophon-Altmeister, der übrigens schon 1962 erstmals seine musikalische Visitenkarte in Neuburg hinterließ, damals noch im Albert Mangelsdorff-Quintett, gastierte einmal mehr im Birdland, wo er seither schon etliche Male zu erleben war. Sein Trio mit Stephan Schmolck und – seit einiger Zeit – Michael Wollny zählt zum Feinsinnigsten, was im Reich des freien Flusses der Ideen nur zu finden ist.

Ordnung ist, was der Freiheit Raum gibt, und so dienen die durchaus sehr komplexen kompositorischen Grundelemente, Themen, Linien, Arrangements den Protagonisten eines herausragenden modernen Jazzabends als Basis für gemeinsame Exkursionen ins Neuland eines frei floatierenden interaktiven Dreiecks. Faszinierend anzuhören, wie die Individualität der Drei sich zu einem Generationen übergreifend kohärenten Ganzen zusammenfindet, wie organische Kommunikation entsteht aus der Mitte der Stille, wie Bindung sich fügt im hörenden Gewährenlassen, wie eine Route sich bahnt im Aufnehmen sich gegenseitig voranbringender Ideen, die nie aufdringlich angetragen, immer kreativ entwickelt werden. Nicht von ungefähr finden sich mit Billie Holidays „Don’t Explain“ oder Theolonious Monks „Round Midnight“ Ausgangspunkte auf jener Seite der Tradition, welche die irdische Verlorenheit des menschlichen Daseins in besonderer Weise bewusst macht. Heinz Sauers Ton ruft Assoziationen wach an Edward Munchs Gemälde „Der Schrei“ in seiner direkten Ansprache, die – mal gehaucht, mal geschrieen, immer von intensiver Glut erfüllt – allen Schmerz, alles Entsetzen zu enthalten scheint, manchmal auch ein Stück trotzig erkämpfter Freude, ganz gegen die schöne heile Welt der Werbespots oder den Toskana-saturierten Zeitgeist der Weinkeller-Revolutionäre. Sauer legt in jeden Ton seine ganze Persönlichkeit, allen Ernst, alle Demut, alle Kraft: ein Fels in der Brandung computerdesignter Beliebigkeit. Stephan Schmolck, in Neuburg wohlbekannter Sommerakademiedozent, brilliert am Bass mit immer durchdachten Impulsen und individueller, auch im Einsatz spieltechnischer Mittel hochgradig eigenständiger Ausdrucksvielfalt, die viele Fäden zusammenführt und in oft unerwarteter wie gleichzeitig folgerichtiger Weise weiterspinnt. Staunen erregt der junge Michael Wollny, dessen pianistisches Vokabular schier unerschöpflich scheint, sei es in derwischender Monk-Adaption, sei es in clusterartigen Klangwolken aus dem Inneren des Bösendorfers, sei es im perkussiven Sonnenstaub seines eigenen „Space Cake“. Solche Musik gibt es eben nur im Jazzkeller, jenem Biotop für Momente geglückter musikalischer Befreiung inmitten des akustischen Smogs unserer lärmverseuchten Welt.