Moscow Art Trio | 04.02.2006

Neuburger Rundschau | Dr. Tobias Böcker
 

Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt – Musik wie das Leben selbst: Klage und Tanz, Freude und Trauer, Überschwang und Poesie, die ganze Bandbreite menschlicher Empfindungen, das Ganze vor der Kulisse des großartigen Panoramas einer imaginierten russischen Steppenlandschaft. Mikhail Alperin, Arkady Shilkloper und Sergey Starostin, seit dem 5. Juni 1990 gemeinsam tätig als Moscow Art Trio, zelebrierten ihre Mischung aus Archaik und Avantgarde, Folklore und Weltmusik, Klassik und Jazz in einem der besten Konzerte, die der Neuburger Birdland Jazzclub in den letzten Jahren erlebte.

Selten nur geschieht, dass völlig Neues geschaffen wird aus Vergangenem. Irgendwie scheint jede Note schon einmal gespielt, jede Besetzung schon mal da gewesen zu sein. Das Gedächtnis der Zeit ist groß und die Welt ist weit. Da kommen nun drei Ritter von melancholischer Gestalt, vielleicht auch nur drei Hirten aus der Steppe, wer weiß, wie aus dem Nichts und spielen Musik, wie sie bisher unerhört war in Klangfarbe, Rhythmik, Melodiosität und Ausdruck. Allein die Besetzung ist nicht alltäglich mit Piano, Horn und Stimme, ergänzt durch Klarinette, Schalmei, Flöte, Alphorn sowie etliche archaische Instrumente. Da jagt die transsibirische Eisenbahn durch die Taiga, stieben die Funken, lachen die Menschen, gackern die Hühner, da keuchts und kreuchts und fleuchts, dass es nur so eine Lust ist, ein lautmalerisches Bild des Lebens, zart und derb, wie es nicht farbenprächtiger gemalt werden könnte. Rasche Rhythmuswechsel, jähe Stimmungsumschwünge, kleine und große Verrücktheiten, burleske Kapriolen gehen Hand in Hand mit trauerseliger Klage, Unisono-Passagen münden in virtuose Trialoge, die nicht selten getragen sind von übermütigem Humor: „Russian in China“. Musik, die es eigentlich gar nicht gibt, für die kein Begriff steht, kein Klischee, kein Genre: Virtuos, durchdacht, raffiniert, expressiv und spannend. Da mögen Nächte in St. Petersburg als Assoziationsversuche herhalten oder die Weiten der Taiga, geschweige denn das unsägliche Klischee von der tiefen russischen Seele strapaziert werden, es trifft und trifft doch nicht, zu eigenständig ist, was Alperin, Shilkloper und Starostin da geschaffen haben. Eine Stimme von vorgeschichtlicher Intensität, virtuose Instrumentenbeherrschung, Folklore und Klassik, entzündet vom Jazz, getragen von schier überbordender Kreativität, Geschichten voller Saft und Kraft und leiser Traurigkeit.