Montauk | 16.04.2010

Neuburger Rundschau | Dr. Tobias Böcker
 

Nach wie vor so unausweichlich wie häufig genug unberechtigt: Wenn im Programmheft das Stichwort „experimenteller Jazz“ auftaucht, dezimiert das die Zahl der Besucher. Was jedoch das Bandprojekt „Montauk“ um den Berliner Gitarristen Andreas Willers im Birdland Jazzclub bot, erforderte, so abwechslungsreich es auch war, selbst von hartgesottenen Fans ein gerüttelt Maß an Nerven und kakophonem Erfahrungshorizont.

Weniger wie ein Jazzkonzert wirkte, was da auf der Bühne des Kellers unter der Hofapotheke zusammengebraut wurde, als vielmehr zunächst wie ein gruselkammermusikalisches Intermezzo Neuer Musik mit hohem Improvisationsanteil. Die einzelnen Akteure hatten ausgiebig Raum für laute, skurrile, schrille Soli. Zum Teil arteten die aus zu reichlich autistischer Selbstgefälligkeit: „Grau normal, ja!“.

Selten im ersten Set entstand ein homogener Bandsound beim ersten Gig der Tour nach strapaziöser Anreise von Berlin und Paris. Dominique Pifaréli, Alain Grange, Andreas Willers und Rudi Fischlehner mussten sich offenkundig erst zusammenfinden mit Geige, Cello, Gitarre und Schlagzeug.

Die ungewöhnliche Besetzung bot jede Menge Konfliktpotential, Reibungsflächen, schmerzgrenznahen Diskant und disharmonische Klaustrophobie. Das Miteinander wurde Mal um Mal durch schiere Lautstärke substituiert, bis man im zweiten Set endlich zueinander fand. Bis dahin freilich hatte die Band das an sich sehr tolerante Birdland-Publikum schon fast halbiert.

Die Stücke boten andererseits interessante Chancen, Groove und Bauch zu erzeugen. Mal kam man sich vor wie in Woodstock, mal wie in der Wolfsschlucht, mal wie im Traumtheater des Prog-Rock, im Bunker oder mitten im Gefecht bei Härte 10, nie wie im Jazzclub, selbst nicht unmittelbar nach der Ansage: „Jetzt spielen wir mal Jazz.“ Da traf Neue Musik auf Noise, fegten Bebop-Fetzen durch die lärmgeschwängerte Atmosphäre, ließen dunkle Rhythmen die Erde beben, Klanggewitter die Blitze zucken.

Das strapazierte Ohren und Nerven gleichermaßen, gab jedoch – und das war die große Stärke – ein facettenreiches Bild von der Verrücktheit, der Hektik, der enervierenden Unwirtlichkeit der Welt, in der wir leben. Wer Augen und Ohren aufsperrt, der kann nicht überhören: Da schreit’s und kracht’s nun mal an allen Ecken und Weltenden, heulen die Sirenen, rattern die Gewehre, greinen die Kinder, klagen die Mütter, kämpfen die Väter und Söhne. Da draußen! Es verstört, wenn der Schlachtenlärm nach innen dringt. Aber es weckt auch auf.