Die blaue Stunde. In der Malerei und in der Fotografie Inspiration für so manches Meisterwerk. Die Zeit zwischen Tag und Nacht mit ihrem außergewöhnlichen Licht, wenn der Tag sich entschleunigt, allmählich Ruhe einkehrt, sich eine ganz eigentümliche Stimmung breitmacht. Irgendwie fühlt man sich sich an diese Spanne der Auszeit erinnert, wenn man Miriam Netti zuhört.
Die aus Apulien stammende Wahl-Berlinerin singt Samba und Bossa Nova, alte italienische Lieder und Jazz Standards mit Latin-Hintergrund, die auf den ersten Blick viel zu tun haben mit Sonne, Strand und warmen südlichen Nächten und herzlich wenig mit den Minusgraden und dem Schneetreiben draußen vor der Tür des Neuburger Birdland Jazzclubs, in dem sie zusammen mit Johan Leijonhufvud an der Gitarre, Bruno Castelluci am Schlagzeug und Johnny Åman am Kontrabass auftritt. Und doch passt der Vergleich, denn der Abend gehört nicht einer quirligen, die Stimmung anheizenden Chanteuse, die den Sommer zelebriert, sondern einer zurückhaltenden Sängerin, die überhaupt kein Interesse an spektakulären Aktionen zu haben scheint und der Seele der ausgewählten Kompositionen auf der Spur ist, nicht deren Oberflächlichkeit hinausposaunt.
Milton Nascimento, Joao Donato und Joao Bosco sind die Impulsgeber, deren Texte übersetzt sie ins Italienische und sogar der oft gecoverte „One Note Samba“ bekommt durch ihre Interpretation eine unerwartete Färbung. Ein Bassist, der sein Instrument streichelt und liebkost, ein Schlagzeuger, der ausschließlich mit Besen spielt, ein Gitarrist, der seine wunderschönen Figuren geradezu zelebriert und eine Ader dafür hat, was an welche Stelle passt und auch für das, was zu viel wäre. Und Miriam Netti, die zwar Blickfang ist – was Wunder, wenn eine Frau im feuerroten Kleid neben drei schwarz gewandeten Herren auf der Bühne steht – überstrahlt ihre Band jedoch nicht mit ihrem Gesang, sondern geht in ihr auf. Ihre Stimme ist Teil der Gruppe, sie begreift sie als ein viertes Instrument, das nach Art des Jazz auch mal ein Solo scattet. Natürlich hält sie Kontakt zum Publikum und steht im Vordergrund schon allein deswegen, weil das Programm nun mal aus Vokal- und nicht aus Instrumentalnummern besteht, aber nie drängt sie sich vor, niemals dominiert sie die Szenerie.
Der Sound, der sich daraus ergibt, ist intim, fragil, sanftmütig, dezent, unspektakulär, unaufgeregt, irgendwie sogar entschleunigt selbst bei einer Speed-Version von „Buena Sera Senorina“, dem Italo-Kracher schlechthin, der hier all seine aufgesetzte Vordergründigkeit verliert und wieder zu dem zeitlosen, charmanten Evergreen wird, von dem eine Coverversion sich tatsächlich lohnt. Miriam Netti bearbeitet ihre Vorlagen behutsam, geht achtsam um mit dem Material, das sie auf den beiden Alben „La Bossa“ und „La Bossa Volume II“ veröffentlicht hat. Die Songs würden sicherlich auch vor dem Hintergrund eines Abends im italienischen Süden wirken, draußen auf irgendeiner Terrasse, wenn die Leute allmählich weniger werden. Aber eben auch als dezenter Soundtrack zur blauen Stunde weiter im Norden. Und sogar mit der „stillen“ Adventszeit haben sie ungleich mehr zu tun als all das Geplärre unserer Weihnachtsmärkte.