Miriam Netti „La Bossa Tra Di Noi“ | 02.12.2023

Donaukurier | Karl Leitner
 

Die blaue Stunde. In der Malerei und in der Fotografie Inspiration für so manches Meisterwerk. Die Zeit zwischen Tag und Nacht mit ihrem au­ßergewöhnlichen Licht, wenn der Tag sich entschleunigt, allmählich Ruhe ein­kehrt, sich eine ganz eigentümliche Stimmung breitmacht. Irgendwie fühlt man sich sich an diese Spanne der Aus­zeit erinnert, wenn man Miriam Netti zu­hört.

Die aus Apulien stammende Wahl-Ber­linerin singt Samba und Bossa Nova, alte italienische Lieder und Jazz Standards mit Latin-Hintergrund, die auf den ersten Blick viel zu tun haben mit Sonne, Strand und warmen südlichen Nächten und herzlich wenig mit den Minusgraden und dem Schneetreiben draußen vor der Tür des Neuburger Birdland Jazzclubs, in dem sie zusammen mit Johan Leijon­hufvud an der Gitarre, Bruno Castelluci am Schlagzeug und Johnny Åman am Kontrabass auftritt. Und doch passt der Vergleich, denn der Abend gehört nicht einer quirligen, die Stimmung anheizen­den Chanteuse, die den Sommer zele­briert, sondern einer zurückhaltenden Sängerin, die überhaupt kein Interesse an spektakulären Aktionen zu haben scheint und der Seele der ausgewählten Kompo­sitionen auf der Spur ist, nicht deren Oberflächlichkeit hinausposaunt.

Milton Nascimento, Joao Donato und Joao Bosco sind die Impulsgeber, deren Texte übersetzt sie ins Italienische und sogar der oft gecoverte „One Note Sam­ba“ bekommt durch ihre Interpretation eine unerwartete Färbung. Ein Bassist, der sein Instrument strei­chelt und lieb­kost, ein Schlagzeuger, der ausschließ­lich mit Besen spielt, ein Gi­tarrist, der seine wunderschönen Figuren geradezu zelebriert und eine Ader dafür hat, was an welche Stelle passt und auch für das, was zu viel wäre. Und Miriam Netti, die zwar Blickfang ist – was Wun­der, wenn eine Frau im feuerroten Kleid neben drei schwarz gewandeten Herren auf der Bühne steht – überstrahlt ihre Band je­doch nicht mit ihrem Gesang, sondern geht in ihr auf. Ihre Stimme ist Teil der Gruppe, sie begreift sie als ein viertes In­strument, das nach Art des Jazz auch mal ein Solo scattet. Natürlich hält sie Kon­takt zum Publikum und steht im Vorder­grund schon allein deswegen, weil das Programm nun mal aus Vokal- und nicht aus Instrumentalnummern besteht, aber nie drängt sie sich vor, niemals do­miniert sie die Szenerie.

Der Sound, der sich daraus ergibt, ist intim, fragil, sanftmütig, dezent, unspek­takulär, unaufgeregt, irgendwie sogar entschleunigt selbst bei einer Speed-Ver­sion von „Buena Sera Senorina“, dem Italo-Kracher schlechthin, der hier all seine aufgesetzte Vordergründigkeit ver­liert und wieder zu dem zeitlosen, char­manten Evergreen wird, von dem eine Coverversion sich tatsächlich lohnt. Mi­riam Netti bearbeitet ihre Vorlagen be­hutsam, geht achtsam um mit dem Mate­rial, das sie auf den beiden Alben „La Bossa“ und „La Bossa Volume II“ veröf­fentlicht hat. Die Songs würden sicher­lich auch vor dem Hintergrund eines Abends im italienischen Süden wirken, draußen auf irgendeiner Terrasse, wenn die Leute allmählich weniger werden. Aber eben auch als dezenter Soundtrack zur blauen Stunde weiter im Norden. Und sogar mit der „stillen“ Adventszeit haben sie ungleich mehr zu tun als all das Geplärre unserer Weihnachtsmärkte.