Alleingang oder Solo, Viererkette oder Quartett, Klinsmann oder Jackson – die Wahl des richtigen Abendprogramms fiel am vergangenen Mittwoch zumindest für universal interessierte Neuburger schwerer, als gewohnt. Wer allerdings nach hartem Ringen den Entschluß faßte, die Bayern in ihrem Uefa-Cup-Triumph alleine zu lassen und stattdessen einem ebenso seltenen Erlebnis im Birdland-Jazzkeller unter der Hofapotheke beizuwohnen, der fragte hinterher nicht einmal mehr nach dem Ergebnis des spektakulären Euro-Kicks.
Ein 73jähriger, der es in punkto Vitalität, Ausdauer, Erfindungsreichtum und geistiger Frische locker mit jeder Fußballmannschaft hätte aufnehmen können, belohnte drei Generationen von Fans im vollbesetzten Club nämlich für ihre Entscheidung mit einer fürwahr meisterlichen Leistung. Milt Jackson, dieser seit 40 Jahren amtierende, ungekrönte König des Jazz-Vibraphons aus Detroit/Michigan, war zum zweiten Mal nach seinem aufsehenerregenden Besuch mit dem „Modern Jazz Quartet“ im März 1990 nach Neuburg gekommen, diesmal allerdings „nur“ mit seinem eigenen Quartett, quasi „just for fun“. Daß die Jazzlegende dann sogar spontan ihren Aufenthalt bis einschließlich gestrigen Freitag verlängerte, lag zum einen an der vor sechs Jahren entdeckten Liebe zur Ottheinrichstadt. Zum anderen war es aber auch das Konzert im kleinen „Birdland“, das selbst ein amerikanischer Superstar wie er nicht alle Tage erlebt.
Denn der fast schon charakteristische flüssige und ausdrucksvolle Stil von Milt Jackson entfaltet nicht etwa in großen Konzertsälen, sondern vielmehr erst in solch intimer Umgebung seine komplette Wirkung. Seine mehr gebundene Spielweise mit beliebig gemischten Notenwerten, dieser weiche Anschlag und diese besondere Art, einen Ton nachklingen zu lassen, drängen förmlich Vergleiche zu Bläsern auf: kein billiges Klimperkasten-Image etwa, sondern komplex phrasierte Linien. Die dadurch erzeugte Stimmung, die immer wieder treffend als „Jackson-Klima“ bezeichnet wird, verbreitet sich in Windeseile an jedem Ort. Und gerade in Zeiten, da Musikmacher ihre Ratlosigkeit in digitalisierten Computerprogrammen unter Beweis stellen, tut dieser wärmende, atmende, menschliche Sound einfach gut.
Wenn einer wie „Bags“ (so sein Spitzname) problemlos und ohne Qualitätsverlust den Spagat zwischen der coolen Reduktion des „Modern Jazz Quartets“, dem heißen Überschwang des Bebop, der flirrenden Leidenschaft des Samba und der hypnotischen Eindringlichkeit des Blues zelebriert, dann liefert dies erst recht den eindringlichen Beweis seiner absoluten Konkurrenzlosigkeit. Ob das erregende „F. S. R.“, das sentimentale „Young and Foolish“, die schrägen Monk-Huldigungen „Off Minor“ oder „Straight no Chaser“, die neuere Eigenkomposition „The Prophet speaks“ oder der Klassiker „Bags Groove“ – alles wirkte so frisch, als ob es Milt Jackson just für diesen Abend geschrieben hätte.
Klar, daß der Entertainer par excellence eindeutig im Rampenlicht den Konzertes stand. Und schade deshalb auch, daß seine fabelhafte Begleitband deshalb eigentlich nur Streiflichter ihres nicht minder bemerkenswerten Könnens ins Publikum schicken konnte. Der hinreißende Pianist Mike LeDonne zum Beispiel mit seinem erlesenen Blueshändchen oder der technisch perfekte Bob Cranshaw, der sich mit seiner aufsehenerregenden Kreuzung aus Kontra- und Elektrobaß bedingungslos der Kunst des Begleitens widmete.
Am meisten Raum gestattete Milt Jackson da schon seinem alten Freund Mikey Roker an den Drums. Der freundliche, gutgelaunte Brummbär glänzte freilich kaum durch spektakuläre Soli, sondern vielmehr als omnipräsenter, geschmackvoller, präziser Timekeeper mit einem Urgefühl für Sound, Pausen, Stimmungen und Grooves, das sich beim genauen Hinhören immer wieder hinreißend mit „Bags“ Vibraphon verzahnte.