Miles Griffith Band | 11.05.2002

Neuburger Rundschau | Dr. Tobias Böcker
 

Normalerweise lassen Sänger die Band vorangehen, warten ein wenig ab, steigen ein, wenn das Publikum schon angewärmt und voller positiver Erwartungsfreude ist. Nicht so Miles Griffith: Der dreht im Birdland Jazzclub den Spieß kurzerhand um, stellt sich auf die Bühne und fängt a cappella an zu singen. Dazu gehört eine Menge Wissen um die eigenen herausragenden Fähigkeiten.

Miles Griffiths warmer Bariton beherrscht alle Stile von Hot bis Cool, vom energiegeladenen Gospel bis zur ironisch-distanzierten Sophistication, variiert sie organisch – zuweilen wie in „This Can’t Be Love“ in ein und demselben Stück – und lässt die ganze Tradition des Jazzgesangs von Louis Armstrong über Nat „King“ Cole oder Mark Murphy bis zu Al Jarreau Revue passieren. Das Energiebündel aus Brooklyn scattet und schwebt in schlafwandlerischer Intonationssicherheit und schöpferischer Phrasierung, lässt kraftvollem Blues so viel Raum wie lebenshungrigem Calypso oder zärtlich verträumten Balladen. Manches klingt wie die Fortsetzung des Gesangs mit anderen Mitteln, gilt eher lautmalerischer Expressivität als melodiöser Atmosphäre. Begleitet von einem erstklassigen italienischen Pianotrio mit Tony Pancella am Bösendorfer, Pietro Iodice am Schlagzeug und Aldo Vigorito am Bass wird Miles Griffith Stimme zum eigenständigen Instrument jazzigen Musizierens, dem nicht der Textvortrag, sondern die pure Lust am Singen den Weg weist. „All Of Me“, das er zum groovenden walking bass von Aldo Vigorito intoniert, zeigt so viel swing, dass unwillkürlich der ganze Keller mitgeht und ergraute Eminenzen im Publikum sich zu sonderapplaudierenden Begeisterungsbezeugungen veranlasst sehen. Nicht schlecht für einen, der auszog, den Jazzgesang zu neuer Bedeutung zu führen.