Michel Schroeder Quintett | 19.11.2022

Donaukurier | Karl Leitner
 

Es gibt Chancen, die hat man nicht allzu häufig. Wer klug ist, der nutzt sie. Der Trompeter, Flügelhornist und Komponist Michel Schroeder und sein in Hamburg beheimatetes Quintett packen sie an diesem Abend beim Schopf, ziehen alle Register und legen ein exzellentes zweites Set hin. Immer­hin wird die knappe Stunde zwischen 22.05 und 23 Uhr vom Bayerischen Rundfunk ins Netz der gesamten ARD eingespeist und ist über diverse Internet-Dienste weltweit live mitzuhören. Da ist höchste Konzen­tration ist gefragt.

Der erste Teil des Abends liegt bereits hinter den Musikern und dem Publikum, die darin enthaltenen Stücke sind gut, aber eigentlich zu aller erst Stoff zum Warmspielen, was sich einem aber erst nach der Pause wirklich erschließt, als die rote Lampe rechts an der Bühne auf­leuchtet. „Wir sind live auf Sendung, also benehmt euch!“ ruft Schroeder den Leuten im Saal zu, was für Gelächter sorgt und eine entspannte Atmosphäre. Und dann legt die Band erst wirklich richtig los, mit gehörig Druck im Kessel bei den rasanten Stücken wie „Hotel Auf der Schlossallee“ und mit Empathie und Einfühlungsvermögen bei den filigranen wie „All About Us“. Mit den mächtigen Fanfarenstößen von „Short Cuts“ starten er und seine Kollegen Marc Dof­fey (Te­nor- und Sopransaxofon), Leon Saleh (Schlagzeug), Christian Müller (Kontra­bass) und Béla Meinberg (Kla­vier), dann geht es Schlag auf Schlag, und ehe man sich’s versieht, sind die 55 Minuten auch schon vorbei.

Es gehört zur Tradition, zum Abschluss des Birdland Radio Jazz Festivals, junge deutsche Bands einzuladen und ihnen eine vor Ort zwar eher kleine, via Radio aber riesige Bühne zu bieten. Hier löst Birdland-Chef Manfred sein Versprechen ein, einen großen Teil der Preisgelder aus dem von der Bundesregierung vergebe­nen Spielstättenpreis „Applaus“ in die junge Szene zu investieren. Das ist eine Situation, die geradezu wie gemacht scheint für Schroeder mit seinen gerade mal 27 Jahren. Der Mann ist – wie seine Mitstreiter übrigens auch – ein enorm ta­lentierter Solist und ein bereits mit allen Wassern gewaschener Komponist. Man merkt den schneidigen, teils mächtigen, von beiden Bläsern vorgetragenen The­men deutlich an, dass ihr Schöpfer auch Big Band-Erfahrung hat. Immerhin un­terhält er daheim auch noch sein 17-köp­figes Michel Schroeder Ensemble inklu­sive acht Bläsern und vier Streichern. Der Mann weiß, wie man Arrangements schreibt, die zünden.

Am Ende ist der Applaus überaus hef­tig, nicht, weil man ihn überall zeitgleich im Radio hören kann, sondern wegen der Klasse der Band. Man könnte darauf wetten, dass man dieses Quintett nicht zum letzten Mal im Birdland gehört und gesehen hat. Schließlich ist auch Man­fred Rehm einer, der Gelegenheiten er­greift, wenn sie sich ihm bieten.

Ab 23 Uhr lichten sich die Reihen im Saal, zwei Stockwerke darüber aber, im in den Birdland-Büros eingerichteten Studio, sitzen bis 2 Uhr morgens noch Roland Spiegel und Ulrich Habersetzer an den Mikrofonen und schicken Auf­nahmen aller Festival-Konzerte, Inter­views mit Musikern, Leuten aus dem Pu­blikum, Medienvertretern und Manfred Rehm selbst hinaus in die Welt. Wie im­mer werden recht bald erste Mails bei ihm eintrudeln mit Hörerreaktionen. Manchmal kommen sie sogar bis aus Austra­lien. Oder, wie vor einigen Jahren, von einer Ölplattform mitten im Nordat­lantik.