12. Birdland Radio Jazz Festival 2022 | 19.11.2022

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Jazz zu präsentieren war noch nie leicht, vor allem in Zeiten wie diesen. Und dann noch in einer Kleinstadt wie Neuburg. Dennoch versucht es Manfred Rehm immer und immer wieder. Die Arbeit des langjährigen Vorsitzenden des Birdland Jazzclubs gleicht der eines Missionars, der sich weder durch Corona, Krieg, Rezession, Klimawandel oder andere Krisen vom Kurs abbringen lässt. Längst erfährt er überregional die ihm gebührende Anerkennung, bekam von der früheren Kulturstaatsministerin Monika Grütters den bundesdeutschen Ehrenamtspreis und schafft es tatsächlich, alljährlich den Bayerischen Rundfunk (BR) für eine vierstündige Livesendung samt Ü-Wagen-Fuhrpark anlässlich des mittlerweile zum zwölften Mal stattfindenden „Birdland Radio Jazz Festivals“ in die Altstadt zu locken. Nur in der „Kulturstadt“ Neuburg hält sich die Resonanz eher im überschaubaren Rahmen.

Dass Stadträtinnen und Stadträte von dem Festival, das in diesem Jahr von Mitte Oktober an gut fünf Wochen lang erlesene Konzerte bot, so gut wie keine Notiz nehmen, daran haben sich Rehm und sein Team mittlerweile gewöhnt. Natürlich war dies auch 2022 nicht anders. Dass der Kulturausschuss jedoch seinen Zuschuss für das ambitionierte Festival kurz zuvor um 20 Prozent kürzte, während andere Events unangetastet blieben, mag angesichts der enormen Sogwirkung der aufgezeichneten Konzerte inklusive der Übertragung, die von Samstag 22 Uhr bis Sonntagmorgen zwei Uhr wieder eine sechsstellige Hörerschaft an die Radiogeräte zog, gelinde gesagt unverständlich erscheinen. „Die Anziehungskraft des Festivals und der Livesendung sind immens“, bestätigt Roland Spiegel, der zusammen mit Ulrich Habersetzer für den BR von Beginn an für das „Birdland Radio Jazz Festival“ verantwortlich zeichnet. Rehm selbst wirft die Übernachtungen, Restaurantbesuche und Einkäufe auswärtiger Besucher als Mehrwert in die Waagschale, die Neuburg durchaus nennenswerte Umsätze bescheren würden. 80 Prozent des Publikums reisen aus dem gesamten Bundesgebiet an, wie der Impresario in der Livesendung des BR zu verstehen gab. Dass die Konzerte fast immer ausverkauft waren, versteht sich dabei von selbst.

Auch weil die zwölfte Auflage abermals einen kühnen Mix aus sämtlichen Stilen des Jazz, von der Tradition bis zur avantgardistischen Moderne bot – und die „besonderen „Birdland-Momente“, die Spiegel und Habersetzer betonten. Diese beinhalten zutiefst authentische Live-Momente, bei denen im akustischen Optimalfall alle beteiligten Musiker ihren Teil beitragen dürfen. Dass in diesem Jahr ein eher im Hintergrund wirkendes Instrument unversehens zum Hauptdarsteller avancierte, liegt selbstredend an dessen Bedienern, ist aber in dieser Akzentuierung nur im Neuburger Hofapothekenkeller möglich. Die Bassisten setzen 2022 eindeutig die Akzente. Der geschmackvolle Amerikaner Daryll Hall (Gypsy Today), der grandiose Norweger Arild Andersen (Samo Šalamon), der farbenreiche Spanier Pablo Martín Caminero, der wunderbar konstruierende Münchner Thomas Stabenow (Das Quartett), der jeden Vortrag aufwertende künstlerische Leiter der Neuburger Sommerakademie Sven Faller (Philip Catherine) und der blutjunge, quirlige Christian Müller (Michel Schroeder Quintett): Sie alle halfen bei der längst überfälligen Imagekorrektur des Kontrabasses mit.

Der Schlussspurt im Birdland-Gewölbe förderte zum überwiegenden Teil erlesene Genussmomente zutage. Mit einer Ausnahme: Das Quartett um den Trompeter und Flügelhornisten Johannes Faber am Donnerstag hinterließ einen eher fragwürdigen Eindruck – vor allem wegen eines gelinde gesagt sich selbst überschätzenden Bandleaders. Fabers Trompetenkünste mögen durchaus vorzeigbar sein und überzeugten vor allem bei Miles Davisʼ dampfendem „All Blues“. Aber wenn der Opernsänger, Glöckner, Olivenbauer und Schauspieler (leider viel zu oft) Jazzstandards wie „Alfie“ oder das selbst komponierte „Amore Mio“ intonierte, dann strapazierte der 70-Jährige die Geduld der Zuhörer über Gebühr. Dass am Ende des Abends doch noch ein kleines Plus stand, liegt an den exzellenten Sidemen Thomas Stabenow, Jan Eschke am Piano und Matthias Gmelin am Schlagzeug.

Gleich eine Reihe dicker Pluszeichen gab es für den freitäglichen Auftritt von Philip Catherine, Paulo Morello und Sven Faller. Zwei deutsche Virtuosen auf ihren Gitarren- und Basssaiten umkränzen ihr großes Idol aus Belgien, das vor wenigen Tagen seinen 80. Geburtstag feiern konnte. „Pourquoi“ heißt eine der Kompositionen Catherines – ein „Pourquoi“ ohne Fragezeichen. Ein Wortwitz, mit dem sich der Altmeister der Jazzgitarre als geistreicher Schalk outete. Ganz ohne Fragezeichen, selbstbewusst, mit einem quasi natürlichen Flow, sich stilsicher durch alle Genres bewegend, mal ausgelassen beschwingt, dann kontemplativ und verdichtet wie gute Filmmusik, kam die wunderbare Performance der Ausnahmemusiker daher. Catherine, Morello und Faller erlangten in ihrem Zusammenspiel eine feine kammermusikalische Qualität, die vom Zuhören und Reagieren lebt. Wie Balletttänzer, die sich barfuß auf einer zentimeterdünnen Eisdecke fortbewegen, zelebrieren sie feinsinnig walzernde Themen wie „Louisella“, „Letter From My Mother“ oder Django Reinhardts hinreißendes „Manoir De Me Rêves“ (Das Haus meiner Träume). Traumhaft schön, zum Niederknien!

Frisch, jung, fröhlich und frei: So gestaltete sich auch in diesem Jahr das Finale des 12. Birdland Radio Jazz Festivals mit dem wuseligen, höllisch swingenden, aber stets modern klingenden Quintett des Trompeter Michel Schroeder. Der 27-Jährige und seine quirligen Kompagnons lieferten eines der besten Schlusskonzerte ab, dessen zweite Hälfte erneut live aus dem Birdland über den Äther ging. Die Fünf überzeugten in jeder Hinsicht mit brodelnden Hardbop-Nummern („Short Cut“) oder intelligent-melancholischen Reflexionen über den schwierigen Spagat zwischen dem Dasein des Berufsmusikers und den Pflichten eines Vaters („All About Us“). Michel Schroeder und Co. stehen für die vitale, kraft- und ideenstrotzende Zukunft des Jazz, gerade in Zeiten wie diesen. Und die längst auch bundesweit erwiesene Relevanz dieses Jazz-Festivals in und aus Neuburg.