Melissa Aldana Quartet | 06.11.2021

Donaukurier | Karl Leitner
 

Die Tenorsaxofonistin Melissa Aldana ist gerade mal 32 Jahre alt und hat schon einiges erreicht. In ihrer Heimatstadt Santiago de Chile machte sie sich früh einen Namen, in New York studierte und etablierte sie sich und mittlerweile ist sie weltweit auf Tour.

Mit einem Mischprogramm, das sich aus drei Quellen speist. Aus den Stücken, die sie lange vor Corona mit ihrem Crash Trio aufgenommen hat, aus denen ihrer aktuellen CD „Visions“, in dem sie die Atmosphäre und die Ästhetik der Bilder der mexikanischen Malerin Frida Kahlo musikalisch umsetzt und aus dem Inhalt des für März 2022 angekündigten Blue Note-Albums „12 Stars“. Zusammen mit Pablo Menares am Kontrabass, Mike Moreno an der E-Gitarre und Kush Abadey am Schlagzeug outet sie sich bei ihrem zweistündigen Konzert als Vertreterin einer aktuellen Strömung, die eine Verbindung herstellt zwischen dem klassischen Cool Jazz und dessen heutiger Erscheinungsform.

Die Orientierung fällt einem anfangs nicht unbedingt leicht. Da sind die flächigen harmonischen Teppiche und andererseits die sprudelnden Single Notes des Gitarristen, der stramme Bass, das ideenreiche, bisweilen unkonventionelle Drumming, dazu Aldana, die sich im Sound gerne zurücknimmt und sich introvertiert gibt, als Komponistin aber durchaus – bei „“Elsewhere“ oder „Acceptance“ zum Beispiel – höchst vitale Themen und Melodien entwirft, auf denen sie selber und Moreno jeder auf ihre eigene Art solistisch surfen. Man muss sich erst einmal einhören, wobei der unvermittelt eingeschobene Standard „You’re My Everything“ kurz vor der Pause zwar eine wohltuende Zäsur bietet, aber doch auch überraschend kommt.

Nachdem „Birth Of The Cool“ und die verschiedenen Versionen von „Rebirth Of The Cool“ anderweitig besetzt sind, käme vielleicht „Cool 2.0“ in Frage als Bezeichnung dessen, was Aldana und vergleichbaren Kollegen aktuell vorschwebt. Wobei 2.0 nicht bedeutet, dass das Neue nun auch automatisch besser wäre, das keinesfalls, aber es darf und soll heute anders klingen als zu Zeiten, als Miles Davis‘ damit Musikgeschichte schrieb. Wer aus Chile kommt, hat jedes Recht dazu, all die selbst geschriebenen Stücke mit Latin-Elementen zu unterlegen, statt wie einst einem Pianisten jetzt einem Gitarristen die wichtigsten harmonischen Aufgaben zu übertragen und sich – musikalisches Erbe hin oder her – auf den Weg zu machen, eine eigene Sprache zu entdecken. Ein Markenzeichen hat sie ja schon, diese Melissa Aldana, nämlich die Glissandi, die sie immer wieder geschickt einbaut.

Die Band spielt sich recht schnell warm und das Publikum hört sich ein. Es bleibt zwar den ganzen Abend über eine gewisse Distanz zwischen dem Sender auf und den Adressaten vor der Bühne spürbar, spannend aber ist dieses Konzept allemal, und das zählt, denn die wenigsten kommen schließlich ins Birdland um sich lediglich „berieseln“ zu lassen. „Von dieser Frau wird man noch jede Menge hören!“ steht im Programmheft. Das ist zu hoffen. Am besten recht bald und an gleicher Stelle.