Melissa Aldana Quartet | 06.11.2021

Neuburger Rundschau | Ssirus W. Pakzad
 

Das Birdland war am Wochenende die letzte Station einer Tournee, die die Tenorsaxofonistin Melissa Aldana für gut drei Wochen kreuz und quer durch Europa führte. Statt sich im Hotel von den Reisestrapazen zu erholen, setzte sich die völlig übermüdete Chilenin am Samstag gegen 15 Uhr in den Club, ließ den Raum auf sich wirken, lotete ihn zweieinhalb Stunden mit lang angehaltenen Tönen aus und brachte sich in Stimmung für das abendliche Konzert. Das sagt viel aus über die 32jährige – ohne Unterlass arbeitet sie an sich. Sie lebt für ihre Musik.
Ihr emsiges Tun trägt jetzt die verdienten Früchte: wenn im März erstmals ein Aldana-Album beim renommierten Label „Blue Note“ erscheint, wird sie das Cover des amerikanischen Kult-Magazins „Down Beat“ zieren und stellt sich, auch eine Premiere, als Bandleaderin im weltberühmten New Yorker Club „Village Vanguard“ vor. Und schon Mitte November wird die „hr Bigband“ ihre Musik aufführen – selbstverständlich mit Melissa Aldana als Solistin.

Ihr Auftritt im Birdland zeigte, warum die Karriere der in New York lebenden Südamerikanerin gerade auf einen Höhepunkt zusteuert. Ihr klischeefreies offenes mutiges Spiel verrät sowohl alte Schule als auch Neugier auf unbekanntes Terrain. Ihr voluminöses facettenreiches Timbre, das selbst in Balladen nie ins Sentimentale verfällt, gehört wohl einer alten Seele, die in einem jungen Körper wohnt. Und der geht mit, wenn Melissa Aldana die Töne nach links und rechts, oben und unten dehnt, wenn sie wendungsreich durch die Register kurvt. Wie eine Ballett-Tänzerin geht sie Plié-Position. Ständig formen ihre Beine ein Trapez und schließen sich wieder.
Nicht nur körperlich ist im Konzert reichlich Bewegung drin. Denn Melissa Aldana besitzt ein Gespür für Dynamik, für Dramaturgie. Ständig wechseln die Gangarten in ihren Stücken. Was eben noch zart und vorsichtig begann, nimmt schon bald mächtig Tempo auf, wird aber aus vollem Lauf auch wieder abgebremst. Traumwandlerisch kommuniziert sie mit ihren Musikern – da sitzt jedes Detail, da trifft der Instinkt stets die richtigen Entscheidungen. Der Bassist Pablo Menares und der Schlagzeuger Kush Abadey sind in New York Melissa Aldanas Nachbarn und haben sich selbst in der schlimmsten Phase der Pandemie bald täglich musikalisch mit ihr ausgetauscht.
Auch der aus Texas stammende Gitarrist Mike Moreno schien den Kontakt zu seiner Chefin im Lockdown gehalten zu haben – er legt unerwartete, aber stets passende Farben unter Aldanas Spiel, akzentuiert es perfekt. Und wenn er dann solistischen Freiraum bekommt, fließen seine Linien forsch in alle Richtungen. Elegant schlägt Moreno manchen Haken, streut schlanke Akkorde zwischen seine süffigen, manchmal auch widerborstigen Läufe – so, als würde er sich selbst begleiten.

Melissa Aldana hat bei ihrem ersten Gastspiel im Neuburger Birdland mit ihren Mannen einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Von dieser Frau können wir noch so manches erwarten. Sie wird mal zu den ganz Großen ihres Fachs gehören. Vielleicht sollten wir ihrem Vater Marcos danken, einem Saxofonisten, der übrigens mal Semi-Finalist der „Thelonious Monk International Jazz Saxophone Competition“ war. Der nahm die Tochter früh unter seine Fittiche, forderte sie musikalisch ständig heraus und spornte ihren Ehrgeiz mächtig an, als er bei einer Übungseinheit mit gespielter Macho-Abfälligkeit folgendes zu Melissa sagte: „Naja, für ein Mädchen spielst du ganz gut.“