Max De Aloe Quartet „Ciao Toots“ | 27.05.2022

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Eigentlich hätte das Motto des Abends nicht „Ciao Toots“ heißen dürfen, weil die vier Musiker damit ursprünglich einem der größten Mundharmonika-Virtuosen, dem Belgier Toots Thielemans, posthum zu dessen 100. Geburtstag Ende April gratulieren wollten. „Ciao Bruno“ wäre viel, viel passender gewesen. Denn die vier Italiener dort oben auf der Bühne des Birdland Jazzclubs sind allesamt glühende Anhänger ihres Landsmannes Bruno de Filippi, eines Mannes, der diesem im Jazz relativ selten gespielten Instrument eine bis heute unerreichte Tiefe und Emotionalität verlieh. Zu Lebzeiten trat der 2010 verstorbene, bescheidene Virtuose regelmäßig in Neuburg auf – stets an der Seite seines jüngeren Freundes Lorenzo Petrocca. Nicht unbedingt der Zufall, sondern bewusste Planung führte dazu, dass der heute 57-jährige, in Stuttgart lebende Gitarrist, nun auch neben Max de Aloe steht. Und der verkörpert auf verblüffende Weise eine Art Reinkarnation von Bruno de Filippi.

Man mag dazu stehen wie man will, man könnte den 54-Jährigen, der ebenfalls wie sein großes Vorbild aus Mailand stammt, einen Plagiator nennen, einen, der nur Bewährtes und Erfolgreiches kopiert. Doch was ist schlecht daran, einen betörenden Sound, noch dazu mit einer solche Exaktheit und Raffinesse, einfach wieder aufleben zu lassen? Max de Aloe hat das, was auch Bruno de Filippi auszeichnete, und andere so vielleicht nie hinbekommen würden: Sein vibratoarmer Ton trägt selbst in den lebhafteren Stücken stets einen klitzekleinen Trauerflor, eine blaue, melancholische Note, die von einer nächtlichen Meeresbrise fortgetragen wird. Wahrscheinlich kann dieses besondere Empfinden, dieses Gefühl des ständigen Abschiednehmens nur in wärmeren Gefilden wie Italien oder Brasilien nachhaltig gedeihen. De Aloes Ton besitzt außerdem etwas Erzählendes, Eingängiges, Nahbares, dem man sich nicht entziehen kann, stets hart an der Grenze zum Kitsch, diese aber auf wundersame Weise nie vollends überschreitend. Wer seiner chromatischen Mundharmonika jedoch mangels Fantasie nur Ausdrucksmöglichkeiten für einfache Bluesthemen einräumt, der wird bei der Interpretation von „Samba de Verão“ (Summer Samba) oder dem wieselflinken Charlie-Parker-Bebop-Thema „Steeplechase“ eines Besseren belehrt. Dass auch der Junge das Erbe des Alten weiterentwickelt, indem er wirkungsvoll, aber sparsam Doppeltöne, die so genannten Multiphonics, einsetzt, sollte auf keinen Fall unerwähnt bleiben.

Für einen (ruhig im doppelten Wortsinn zu verstehen) von Harmonien abhängigen Musiker wie Max de Aloe müssen die Kollegen an seiner Seite einfach passen. Und bei dieser Band stimmt wirklich alles! Ganz klar: Italiener! „Wir haben nicht geprobt, als wir uns wiedergetroffen haben, sondern nur zusammen gegessen“, erzählt Lorenzo Petrocca verschmitzt. Dennoch – oder gerade deshalb – setzt er genau die richtigen Noten und Läufe auf die dunkle Harp; geschmackvoll, elegant, flink, aber mit hoher Präzision im Rhythmus – so wie er es einst für „Bruno, il Grande“ tat. Aus der multitalentierten Petrocca-Familie hat Lorenzo diesmal einen zumindest für die Birdland-Stammgäste „neuen“ Bruder mitgebracht. Franco am E-Bass überrascht mit behänden Läufen und einer feinen komplementären Struktur, die ideal zu den testosteronhaltigen, punktgenauen Drum-Fills von Tommy Bradascio passt.

Die Band präsentiert reihum frische, wendige Wohlfühlsongs voller Charme und Wärme. Die Erinnerungen von Max de Aloe an seinen Großvater Giovanni zum Beispiel, oder die in Sekundenschnelle heftiges Fernweh auslösende Zugabe „Besame Mucho“. Was jedoch hängen bleibt und selbst die lange Sommerpause im Jazzclub überdauert, ist die Hommage an Bruno de Filippi in Form von dessen Erkennungssong „Ma lʼAmore no“ (Aber Liebe ist es nicht) aus der Feder von Giovanni DʼAnzi. Das Stück erklang bereits vor mehreren Jahrzehnten an gleicher Stelle. Nicht nur für Max de Aloe und Co., sondern auch für das Publikum ist es eine Türe von der Vergangenheit in die Gegenwart, ein zeitloses, genial simples Stück großer Musikkunst. Grazie Mille!